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STUTTGART: NABUCCO – das Allerheiligste wird gelüftet

19.01.2015 | Oper

DAS ALLERHEILIGSTE WIRD GELÜFTET

Packende Aufführung von Giuseppe Verdis „Nabucco“ am 18. Januar 2015 in der Staatsoper

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Liang Li  und der Staatsopernchor. Foto: A.T.Schaefer

Wieder machte Stuttgart seinem Ruf als heimliche Chorhauptstadt Deutschlands alle Ehre. Der Staatsopernchor brillierte unter der feurigen Leitung von Johannes Knecht mit glühendem Brio und Espressivo, was sich nicht nur beim Gefangenenchor „Va, pensiero“ mit seinem Unisono-Zauber zeigte. Als Koproduktion mit der Welsh National Opera konnte diese Inszenierung von Rudolf Frey das Publikum trotz der recht schlichten Ausstattung ((Bühne: Ben Baur; Kostüme: Silke Willrett, Marc Weeger) rasch in ihren Bann ziehen. In Jerusalem war das Bühnenbild kahl und schwarz: Hier war das hebräische Volk spürbar den babylonischen Eroberern unter der autoritären Führung Nabuccos (voluminös: Dimitri Platanias) ausgeliefert. In den weiteren Teilen der Oper tauchte Frey die Szene in prunkhaftes Gold, nachdem es im ersten Bild schon vorausschauend goldene Konfetti geregnet hatte. Die Zerstörung des jüdischen Tempels und die Verschleppung ins babylonische Exil erhielten bei der Aufführung packendes Gewicht. Die beiden Schwestern Abigaille (Catherine Foster brillierte hier mit stählernen Spitzentönen) und Fenena (Diana Hallers Sopran entfaltete sich blühend) konkurrierten hier leidenschaftlich um die Liebe desselben Mannes, den von Gergely Nemeti mit schlanker Stimmführung dargestellten Ismaele als Neffen des Königs von Jerusalem. Als Dimitri Platanias sich als Nabucco Gottähnlichkeit anmaßte, wirkte dies wie eine Schändung des Allerheiligsten. Der schwarze Vorhang fiel und vor dem großen Tisch zuckte ein Blitz herab, um Nabucco zu treffen. Diese Szene überzeugte in ihrer dramatischen Schlagkraft am meisten, denn der Tisch senkte sich nun in geheimnisvoller Weise herab. Als Nabucco Abigaille das Geheimnis ihrer illegitimen Herkunft entgegenschleuderte, besaß dieser szenische Moment ebenfalls starke Intensität. Auch die Schluss-Szene, wo Nabucco die Hinrichtung Fenenas im letzten Moment doch noch verhinderte, blieb tief im Gedächtnis.

 Catherine Foster, die sich zuletzt als Abigaille selbst vergiftete, gestaltete ihren Part mit dämonischer Größe und durchaus alttestamentarischer Wucht. Ihr Gesang mit seinen unglaublichen Sprüngen über zwei Oktaven hinweg faszinierte aufgrund des ausdrucksstarken Timbres. Selbst wenn Rudolf Frey bei der Personenführung stellenweise noch präziser hätte sein können, gefiel diese Version dennoch aufgrund ihrer elektrisierenden Lebendigkeit und wilden Glut. Wie Nabucco vom Saulus zum Paulus wurde und Israel schließlich die Freiheit schenkte, stellte Dimitri Platanias höchst glaubwürdig dar. Auch hier agierte der Staatsopernchor mit ergreifender Klarheit und Intonationsreinheit. Eine positive Überraschung war ferner der junge italienische Dirigent Daniele Rustioni, der das Staatsorchester schon bei der Ouvertüre mit nie nachlassendem Elan leitete. Präzis hörte man hier den „Maledetto“-Chor, den Chor der Priester im zweiten Teil sowie das berühmte „Va, pensiero“ heraus. Für Rudolf Frey ist diese Oper eindeutig ein blutrünstiges Stück, das er dann auch so inszeniert. Er lässt dem verführerischen Charakter dieser Musik mit Hilfe des Dirigenten Daniele Rustioni freien Lauf. Die hochgespannten theatralischen Aggregatzustände kamen bei der Aufführung jedenfalls voll zum Vorschein. Anklänge an Bellini und Donizetti wurden immer wieder facettenreich herausgearbeitet. Der Tod von Abigaille mit Englischhorn, Harfe, Violoncello und Kontrabass bestach aufgrund seiner fast kammermusikalisch-sensiblen Qualität. Das Finalensemble des ersten Aktes besaß bei dieser Interpretation eine wahrhaft mitreissende rhythmische Kraft. Frey machte bei seiner Inszenierung auch deutlich, wie stark alle Entscheidungen Nabuccos letztendlich von Fenena abhängen. Ismaele befand sich zwischen allen Stühlen. Er zerbrach bei der Aufführing sowohl an seiner Beziehung zu Fenena als auch am Verhältnis zu Abigaille. Wie Nabucco angesichts des drohenden Verlustes seiner Tochter zum Menschen wurde, ließ Frey ebenfalls in drastischer Weise deutlich werden.Die Botschaft der Inszenierung lautet eindeutig: Erst durch seinen Wahnsinn wird Nabucco zum Menschen, was er vorher nicht wirklich war. Im Wahnsinn fielen viele Schichten weg und er war plötzlich auf allen Ebenen verwundbar. Dimitri Platanias gestaltete seine letzte Arie „Dio di giuda“ mit ebenmäßiger Kantabilität. Ein weiterer Höhepunkt dieses erstaunlichen Abends war das ausgesprochen explosive Streitgespräch von Nabucco mit seiner Stieftochter Abigaille. Da wuchsen beide Sänger in ihrer leidenschaftlichen Wildheit über sich selbst hinaus. Kompakte Rezitative und geschlossene Szenenkomplexe wechselten sich hierbei rasant ab. Wucht und Feuer entzündete der umsichtige Dirigent Daniele Rustioni mit dem zupackend musizierenden Staatsorchester Stuttgart in glänzender Weise. Dominik Große als majestätischer Oberpriester des Baal, Thomas Elwin als Offizier Abdallo des Königs von Babylon und Irma Mihelic als Zaccarias Schwester Anna sowie Liang Li als Hohepriester der Hebräer Zaccaria überzeugten als weitere gesangliche Glanzlichter dieses fulminanten Ensembles. Auch die suggestive Choreografie von Beate Vollak lockerte das Geschehen merklich auf.

Der starke melodische Gehalt dieser Partitur wurde vom Staatsopernchor immer wieder hervorragend betont. Da füllte das gesamte Ensemble mit packender Schlagkraft die Bühne aus. Die Glut der Tonsprache kam bei den „nationalistischen“ Passagen ebenfalls zum Vorschein. Wie stark es Verdi gelungen ist, die kollektive Energie des Chores zu beschwören, konnte man bei diesem Abend erfahren. Daniele Rustioni gelang es bei seiner Wiedergabe als Dirigent glaubhaft, die dramatischen Geschehnisse ergreifend zu verdichten. So drohte Nabucco sotto voce mit grausamer Rache. Im Kontrast hierzu standen packend Fenena, Ismaele und Anna mit ihrem Flehen um Gnade und Gebet. Zusammen mit Nabucco steigerte die grandiose Abigaille von Catherine Foster (auch bekannt durch ihre Brünnhilde bei den Bayreuther Festspielen) in Erwartung ihrer Rache die letzten Takte zum Höhepunkt. Extreme Sprünge und Läufe kennzeichneten ihre Interpretation der Abigaille. Der Charakter des H-Dur-Andante endete mit Wildheit auf der Dominante Fis-Dur. Die chromatisch sich aufwärts schraubenden Wechselnoten interpretierte Daniele Rustioni ebenfalls mit höchster Ausdrucksstärke. Hier kam ihm auch der Staatsopernchor immer wieder zu Hilfe. Präzision kennzeichnete ferner die ebenfalls an Bellini erinnernde Staccato-Bläserbegleitung. Rustioni akzentuierte auch die Assoziationen zu anderen Verdi-Opern plastisch. In den Klagen des verrückt gewordenen Königs um seine Tochter hörte man schon „Rigoletto“ heraus, und im großen Streitgespräch Abigailles mit dem entmachteten Nabucco blitzte „Macbeth“ grell auf. Biblische Schriftzeichen sind bei der Inszenierung wiederholt zu sehen. Sie symbolisieren die Kommunikation mit dem lebendigen Gott, der das Schicksal der Völker bestimmt. Alles in allem ist es also eine Aufführung, die vor allem aufgrund der hohen musikalischen Qualität für sich einnimmt. Rudolf Frey legt in seinen Inszenierungen auf den spannungsvollen Gegensatz von realem Handlungsgefüge und den inneren Werten der handelnden Personen großen Wert. Revuehafte Momente unterstrich Frey durch das Tragen von Michael-Jackson-Handschuhen.   

 Alexander Walther

 

 

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