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STUTTGART/ Musikhochschule: Stuttgarter Meisterkurse für Stimmkunst und Neues Musiktheater 2019

15.02.2019 | Konzert/Liederabende

Stuttgarter Meisterkurse für Stimmkunst und Neues Musiktheater 2019 am 15. Februar 2019 in der Musikhochschule/STUTTGART

BREITE PALETTE DER KLANGFARBEN

Abwechslungsreicher hätte das Programm der Stuttgarter Meisterkurse für Stimmkunst und Neues Musiktheater in der Stuttgarter Musikhochschule kaum sein können. Auch in diesem Jahr stellten sich beim Abschlusskonzert der Dozierenden und Teilnehmerinnen und Teilnehmer wieder zahlreiche Talente vor. Geleitet wurden die Kurse von Prof. Angelika Luz, Sarah Maria Sun und Prof. Cornelis Witthoefft (Lied für Gesang und Klavier). Marine Madelin (Sopran) und Immanuel Karle (Klavier) eröffneten den Abend mit Wolfgang Rihms „Ophelia Sings“ (William Shakespeare) aus „Hamlet“ aus dem Jahr 2012. Das Triebhafte der Ton- und Klangkonstellationen wurde von beiden Solisten neben der seriellen Struktur überzeugend betont. Expressive Eingebungen verdichteten sich hier immer mehr. Klangfarben verfeinerten sich bei „SAUH II“ (1973) von Giacinto Scelsi bei der sensiblen Interpretation von Angelika Luz (Sopran) und Inga Schäfer (Mezzosopran) immer mehr. Die schöpferische Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Tons bis hin zu Nasal-Lauten stand hier im Mittelpunkt. Mikrotonalität belebte das harmonische Gewebe mit irisierenden Klangfarben. Wörter der Zeit und Soundeffekte stehen im Mittelpunkt von Matthias Pintschers Werk „Lieder und Schneebilder“ (E.E. Cummings, 2000/01). Andrea Conangla (Sopran) und Vitalii Kyianytsia (Klavier) zeichneten diese naturalistischen Szenen bei „Birds“ oder „Erstes Schneebild“ facettenreich nach. Aus den „Kinderliedern“ von Aribert Reimann präsentierten Marine Madelin (Sopran) und Immanuel Karle (Klavier) drei Stücke, wobei hier die Einflüsse von Alban Berg und Anton Webern bei Nummern wie „Wo ist der Vater“ und „Die Schlange ist gestorben“ hervorstachen. Hier kam die Angst vor dem Feuer harmonisch aufwühlend zum Vorschein. Auch die Erweiterungen der spieltechnischen Möglichkeiten kamen nicht zu kurz. Tonhöhen und Tondauerstrukturen wurden dabei mit logischer Stringenz verknüpft. Meredith Nicoll (Mezzosopran) zeichnete „Sequenza III per voce femminile“ (1966) von Luciano Berio mit koloristischen Raffinessen, präziser musikalischer Gestik und ausdrucksvollem Sprachstil nach. „(Un)heavenly Lullaby“ (1997) von Marco Di Bari mit Giulia Zaniboni (Sopran) und Vitalii Kyianytsia (Klavier) entführte die Zuhörer neben sphärenhaftem Schweben in eine unheimliche Welt von Angstschreien und dynamisch differenzierten Lauten. Liebe und Tod standen dann im Mittelpunkt von Olivier Messiaens „Doundou tchil“ aus „Harawi“, wo Manon Blanc-Delsalle (Mezzosopran) und Immanuel Karle (Klavier) den Klangraum suggestiv ausloteten. Kurze Notenwerte korrespondierten dabei mit subtilen rhythmischen Techniken, die die Singstimme auch beflügelten. Außerdem fiel hier die Verdichtung der musikalischen Struktur neben ostinaten Schichtungen nicht umkehrbarer Rhythmen besonders auf. Aus „Einlass und Wiederkehr“ für Sopran und Klavier nach Franz Kafka von Charlotte Seither (2004) interpretierten Angelika Luz (Sopran) und Cornelis Witthoefft (Klavier) die Lieder „Dass wir nicht dauernd bleiben könnten“, „Unerkannt“ und „Der, dessen Füße brennen“. Die melodischen Strukturen zerflossen hier in eindrucksvoller Weise ins Nichts. Auch bei „Wer?“ von Isabel Mundry nach Fragmenten von Franz Kafka (2004) dominierte die innere Stimme in geheimnisvoller Weise, was Kanae Mizobuchi (Sopran) und Jano Luksts (Klavier) mit elektrisierender vokaler Technik herausarbeiteten. Sehr schroff und harmonisch zerrissen wirkte „Der explodierende Kopf“ als Fragment aus „Das Urteil“ von Franz Kafka für Sopran und Klavier (2004) von Christian Jost, wo Ramina Abdulla-zade (Sopran) und Immanuel Karle (Klavier) das dämonische Geschehen minuziös auf den Punkt brachten. Ein Vater verurteilt seinen Sohn hier zum Tod durch Ertrinken. Marine Madelin (Sopran) gestaltete filigran „Pub 1“ für Sopran Solo (2002) von Georges Aperghis. Hier wird die Erzeugung von Klang sehr menschlich gestaltet, was bei der Wiedergabe gut zur Wirkung kam. Die Metaphorik des Klangs steht über dem erzählenden Moment. Theresa Szorek (Sopran) und Kamila Lopatka (Klavier) gestalteten „When that I was a little tiny boy“ aus „A Shakespeare Cycle of Scenic Songs“ (2015) von Camille van Lunen mit intensivem gesanglichen Gestus und vitaler Körpersprache. Cong Wei (Sopran) und Kanae Mizobuchi (Sopran) interpretierten feinnervig und klangintensiv zwei reizvolle Piecen aus „Two walking“ von Gertrude Stein (unter anderem „Kiss my lips“, 1994) von Pascal Dusapin. Von György Kurtag erklangen „Drei alte Inschriften“ op. 25 mit Manon Blanc-Delsalle (Mezzosopran) und Kamila Lopatka (Klavier). Hier triumphierten ständig wechselnde Kompositionstechniken, die sich mit durchaus lyrischen Einschüben kunstvoll verbanden. Inga Schäfer (Mezzosopran) und Kamila Lopatka (Klavier) interpretierten die witzigen „Tierverse“ (Bertolt Brecht) von Paul Dessau mit parlandohaften und psalmodierenden Passagen, wobei auch kantable Züge zu den Klängen des verfremdeten Klaviers nicht zu kurz kamen. Aneinandergereihte Comicstreifen gestaltete Theresa Szorek (Sopran) bei „Stripsody“ von Cathy Berberian mit höchst virtuoser Technik. Aus Wolfgang Rihms „Die Eroberung von Mexiko“ als Musiktheater nach Antonin Artaud (1987-1991) gestaltete die Mezzosopranistin Inga Schäfer (die übrigens am Theater Freiburg engagiert ist) zusammen mit Magdalena Cerezo Falces (Klavier) die ins Monumentale weisende Szene des Montezuma. Thematische Metamorphosen paarten sich hier mit schroffen Klangimpulsen und schattenhaften Grenzklängen. Herzlicher Schlussapplaus dankte allen Mitwirkenden dieses interessanten Abends, dessen Kompositionen durchaus unterschiedliches Niveau besaßen. Sie wurden künstlerisch aber souverän umgesetzt. 

Alexander Walther

 

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