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STUTTGART/Musikhochschule Konzertsaal: Werkstattfestival Studio Neue Musik. Sphärenhaftes Klangspektrum

15.06.2024 | Konzert/Liederabende

Werkstattfestival Studio Neue Musik im Konzertsaal der Musikhochschule am 14.6.2024/STUTTGART

Sphärenhaftes Klangspektrum

Wieder war Neues aus den Kompositionsklassen von Prof. Marco Stroppa und Prof. Martin Schüttler zu hören. Das Konzert I stellte Kompositionen von begabten Hochschulstudenten vor. Von der Koreanerin Yeonju Kim wurde „Depth“ (2024) für Orgel als Uraufführung vorgestellt. Hyelin Lee interpretierte dieses Werk an der Orgel mit großer Konzentration und Einfühlungsvermögen. Hier wird die Bewegung eines Ozeans in ihrer ganzen Tiefe und Spiritualität beschrieben. Die Erzählung „Waterside“ über ein Kind soll hier fortgesetzt werden. Die Gier des Kindes führt es an sein gewünschtes Ziel. Doch das Wasser erweist sich als zu tief für das Kind. Schließlich erscheint ein Wal, dem das schwimmende Kind in geheimnisvoller Weise folgt. Die dynamischen Steigerungen wurden bei dieser subtilen Interpretation ausdrucksvoll herausgearbeitet. Anschließend war „Di:a-log“ (2024) von Zoey Jaeyeon Jo als Uraufführung zu hören. Dieses interessante Streichquartett besteht aus Beethovens Großer Fuge und den musikalischen Materialien der Komponistin. Klänge und visuelle Arbeiten kontrastieren hier mit der Großen Fuge. Intervallspannungen führen immer wieder zu elektrisierenden akustischen Höhepunkten. Alina Kikhno (Violine 1), Junyoung Yang (Violine 2), Hohoe Kaya (Viola) und Sebastian Triebener (Violoncello) ließen zusammen mit Piet Johan Meyer und Igor Stepanov (Elektronik & Klangregie) den Klangzauber von Beethovens Großer Fuge mit allen Verfremdungen  erstrahlen. Zudem wurden einzelne Sequenzen noch in Video-Aufnahmen zugeschaltet. Vier Stimmen wurden dabei zu Trägern und Vermittlern des konzentrierten und linear angelegten Tonsatzes, dessen Intensität ständig zunahm. Die ununterbrochene Reihe von Einzelfugen variierte die Komponistin Zoey Jaeyeon Jo nochmals klanglich differenziert, gezackt-punktierte Kontrapunkte splitterten sich hier gleichsam auf. Sechzehntel-Figurationen sowie Terzen- und  Sextenparallelen blieben immer wieder versteckt hörbar. Teilabspaltungen, Umkehrungen und Modulationen prägten dabei die thematisch und motivisch kühne Arbeit. Eine weitere Uraufführung war dann „Quahr“ als Concertino für Setar und großes Ensemble des iranischen Komponisten Vahid Hosseini. Das fulminante echtzeit Ensemble des Studios für Neue Musik der Musikhochschule musizierte hier unter der umsichtigen Leitung von Delia Ramos Rodriguez. Insbesondere Harfe und Orgel bildeten dabei ein irisierendes Grundgerüst, dessen gewaltige dynamische Steigerungen im Gedächtnis blieben. „Reunion“ von Tyler Cunningham war eine Performance, die der Künstler selbst präsentierte. Der in Stuttgart lebende Performer, Forscher und Perkussionist machte deutlich, dass er als Kind davon träumte, Pauker zu werden. Die Bewegungen dieses Instruments wurden immer wieder imitiert, Cunningham erinnerte sich an die Gesten der ersten Paukenauszüge, erwähnte auch Komponisten wie Samuel Barber. Höhepunkt dieses ersten Konzerts im Rahmen des Werkstattfestivals war sicherlich die überzeugende Interpretation von „Guai Ai Gelidi Mostri“ (1983/1988) von Luigi Nono mit dem echtzeitEnsemble des Studios für Neue Musik unter der konzentrierten Leitung von Christof M Löser, wo der bewegliche und nicht statische Klang neben Mikrointervallen im Mittelpunkt stand. Verschiedene Transpositionen des Klangspektrums werden dabei von Texten von Gottfried Benn, Lucrez, Carlo Mittelstaedter, Friedrich Nietzsche, Ovid, Ezra Pound, Rainer Maria Rilke und Franz Rosenzweig begleitet. Die Gesangsstimmen von Thalia Hellfritsch (Alt 1) und Hanna Schäfer (Alt 2) bildeten hierbei ein geradezu sphärenhaft-überirdisches Klangspektrum, das von scharfen Intervallen der Piccolotrompete abgegrenzt wurde. Gregorianischer und synagogaler Gesang wandelten sich gleichsam ab. Auch hier herrschte das Formkonzept des Fragmentarischen sehr deutlich vor. Über allem erschien fast geisterhaft die Silhouette Venedigs. Aus dem Lautsprecher war das Echo verstummter Stimmen zu vernehmen: „Wehe den kalten Ungeheuern…“ Stringente musikalische Gesten wurden vom Dirigenten Christof M Löser nuancenreich unterstrichen.

„Bravo“-Rufe im Konzertsaal. 

Alexander Walther

 

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