Foto: A.T.Schaefer
„Madame Butterfly“ von Giacomo Puccini am 15.3.2019 in der Staatsoper/STUTTGART
VERZWEIFLUNG UNTER DER GLASKUPPEL
In der Regie von Monique Wagemakers steht die sparsame Ausstattung im Mittelpunkt (Bühne: Karl Kneidl; Kostüme: Silke Willrett). Wenige japanische Requisiten sind hier zu sehen. Ein großer Spiegel hängt über der Bühne, der das Geschehen illustriert. Aus Liebe zum amerikanischen Navy-Offizier Pinkerton bricht die Geisha Cio-Cio San mit ihren Traditionen, wird dann aber schwanger sitzen gelassen. Das Handlungsgeschehen ist auch auf eine Glaskuppel projiziert, die zuletzt den Blick auf ein gewaltiges Blumenmeer freigibt. In Videoprojektionen sind die Protagonisten zu sehen, einzelne Figuren treten auch mit Kameras auf. Ein großer Schmetterling wird dabei aufbewahrt.
Das Aufeinanderprallen zweier unterschiedlicher Kulturen zwischen Stahlgerüsten steht bei dieser Inszenierung deutlich im Mittelpunkt (szenische Leitung der Wiederaufnahme: Judith Lebiez). Die Reduzierung auf eine Figur wird deutlich vermieden. Und den Charakter des bürgerlichen Dramas verleugnet Monique Wagemakers keineswegs. Madame Butterfly hat sich hier zu sehr entschlossen für diesen Mann, der sie dann verlassen wird. Butterfly hat auch eine große seelische Verletzung durch den Tod ihres Vaters erlitten, der sich auf Befehl des Kaisers umbringen musste. Deshalb bestand ihre einzige Möglichkeit, Geld zu verdienen, in der Tatsache, dass sie Geisha werden musste. Bei Wagemakers ist Cio-Cio San aber kein Opfer, denn sie hat sich ganz bewusst für dieses Leben entschieden. Das Kind steht bei dieser Inszenierung im zweiten Akt deutlich im Mittelpunkt. Diese Sichtweise wiederholt sich nach Cio-Cio Sans Selbstmord am Schluss, als das traumatisierte Kind in einer Großprojektion ins Leere zu laufen scheint. Ihm wird keine Lösung angeboten, wie es weiterleben soll. Das ist bewegend und beklemmend zugleich, lässt den Zuschauer nicht mehr los.
Darin besteht auch die Qualität dieser szenischen Arbeit, die durchaus suggestiv ist. In dem Moment, wo Butterfly im Gespräch mit Sharpless nichts mehr in der Hand hat, was sie an Pinkerton bindet, wird dann das Kind hervorgezerrt. Butterfly und ihre Dienerin Suzuki sind hier auch in gewisser Weise verwahrlost, es gibt kaum Besuch, sie sind vereinsamt. Butterly leidet unter Stimmungsschwankungen, sie hat keine Familie mehr. Das „Blumenduett“ von Cio-Cio San und Suzuki im zweiten Akt wird dann auch optisch in wunderbarer Weise umgesetzt. Die Blumen scheinen ohne Ende vom Himmel zu fallen. Aber man spürt bei der Aufführung ebenfalls, dass es ein Todesduett der Natur ist. Der Auftritt des reichen Mannes Yamadori, der Butterfly unbedingt heiraten möchte, gelingt Monique Wagemakers hinsichtlich der psychologischen Personenführung ebenfalls glaubwürdig. Da passt die Musik zur Handlung. Ironie und Fremdheit der Figuren werden dabei suggestiv herausgestellt. Die Verzweiflung unter der Glaskuppel erreicht bei Cio-Cio Sans Suizid ihren Höhepunkt.
Karah Son. Foto: Opera Musica
Musikalisch bietet diese Vorstellung vor allem mit der südkoreanischen Sopranistin Karah Son eine Überraschung, die damit in Stuttgart ihr Hausdebüt gibt. Feine Nuancen und zarteste Stimmungsmomente, aber auch gewaltige dynamische Steigerungen vermag diese hochbegabte Sängerin mühelos umzusetzen. Und darstellerisch gelingt ihr bei dieser Rolle ein berührendes Rollenporträt. Thomas Guggeis dirigiert das Staatsorchester Stuttgart mit präzisem Gespür für unterschiedlichste Klangfarbenspiele. Dies kommt auch beim Zusammenspiel des von Bernhard Moncado markant einstudierten Staatsopernchors mit dem Staatsorchester gut zum Vorschein. Die Tonsymbole mit ihrer enormen leitmotivischen Funktion erhalten so eine zentrale Bedeutung. Die Situation des Wartens beim Übergang vom zweiten zum dritten Akt mit den Brummstimmen des Chores und der feingliedrigen Pentatonik erhöht noch die dynamische Spannungkurve bei dieser Produktion. Davon profitiert vor allem Maria Theresa Ullrich als Suzuki, die nicht nur beim Blumenduett mit Cio-Cio San eine geradezu symbiotische Beziehung eingeht. Gesanglich und darstellerisch ergänzen sich die beiden Sängerinnen in ausgezeichneter Weise, wobei Maria Theresa Ullrichs Mezzosopran eine helle Färbung besitzt. Der Charakterisierungsreichtum dieser Rolle wird so optimal erfasst. Ivan Magri überzeugt als Pinkerton mit überaus strahlkräftigen Kantilenen und glutvoller Intonation. Dario Solari als Sharpless, Heinz Göhrig als Goro, Padraic Rowan als Fürst Yamadori und David Steffens als Priester und Onkel Cio-Cio Sans liefern allesamt stimmlich glanzvolle Charakterporträts. In weiteren Rollen gefallen Matthias Nenner als Yakuside und weiterer Onkel Cio-Cio Sans, Siegfried Laukner als kaiserlicher Kommissar, Yehonatan Haimovich als Standesbeamter, Jie Zhang als Mutter Cio-Cio Sans, Pia Liebhäuser als Kate Pinkerton, Claudia Votteler als Tante, Larisa Bruma als Kusine und Lorna Treuer als Kind.
Thomas Guggeis arbeitet die leitmotivischen Verflechtungen der Figuren untereinander mit dem Staatsorchester Stuttgart akribisch heraus. Der Orchesterklang befindet sich schon in der Einleitung in einem dauernden Crescendo. Die Fugenbewegung besitzt hier eine erstaunliche Vitalität. Das innere Feuer will nicht mehr erlöschen und überträgt sich in beglückender Weise auf die Sängerinnen und Sänger. Und das turbulente Geschehen des Hochzeitsfestes manifestiert sich dabei schon im Vorspiel. Dass Puccini dabei eine meisterhafte „Konversationsmusik“ geschrieben hat, wird bei dieser Interpretation sehr gut deutlich. Und die melodische Konzentration lässt trotz des zügigen Tempos nicht nach. Bei der Aufzählung der Verwandten tritt der geschwätzige Goro in Gestalt von Heinz Göhrig nuancenreich in Erscheinung, in den hohen Holzbläsern und den Pizzicati der Streicher tritt die allgemeine Aufregung präzis und elektrisierend zugleich hervor. Thomas Guggeis blickt mit dem glutvoll musizierenden Staatsorchester Stuttgart dabei gleichsam hinter die Noten, entlockt ihnen ungeahnte Geheimnisse und Rätsel. Selbst der zuweilen orientalische Charakter dieser Musik wird so keineswegs verleugnet. Insbesondere auf die Melodiegestaltung wird bei dieser geglückten Produktion immer wieder großen Wert gelegt, da triumphiert Karah Son als Madame Butterfly in imponierender Weise. Die japanisch gefärbte Melodie bei der Begegnung des Brautpaars besitzt hier etwas geradezu Sphärenhaftes und Überwältigendes, das die Zuhörer ungemein fesselt.
So gab es zuletzt vor allem für Karah Son als Butterfly enthusiastischen Schlussjubel.
Alexander Walther