Michael König, Simone Schneider und Chor. Copyright: Staatsoper Stuttgart/ Michael Baus
Stuttgart:„LOHENGRIN“ – 14.10.2018 – Politik und Musik – kein perfektes Glück
Auf dem Heimweg vom diesjährigen Künstlertreffen der Gottlob-Frick-Gesellschaft im schwäbischen Ölbronn wollte ich mir in Stuttgart die Nachmittagsvorstellung des neuen “Lohengrin“ nicht entgehen lassen. Kollege Klebes hatte zwar über die Premiere am 30.9. keineswegs überenthusiastisch berichtet, aber das wusste ich zum Zeitpunkt der Karten- und Bahnbuchung ja noch nicht. Der neue GMD Cornelius Meister am Pult interessierte mich ebenso wie die Sänger, die mir in diesen Rollen alle neu waren. Für die musikalische Wiedergabe brauchte sich die Württembergische Staatsoper denn auch nicht zu schämen. Der Rest sollte eigentlich „Schweigen“ sein. Es drängten sich mir aber doch ein paar Überlegungen auf.
Das Werk braucht einen anderen Titel, dachte ich mir immer wieder – was fängt ein Durchschnittsbürger mit ‚Lohengrin‘ an? „Brabant in Grau?“ – wegen der einheitlich in dieser faden Farbe gehaltenen hohen Wände, vor denen alle Szenen spielten. Im 1. Akt trug das gesamte Bühnenpersonal graue Alltagsgewänder, etwas dünkler, etwas heller, von unterschiedlichem Schnitt. Erst im 2. Akt erschienen die Damen in individuellen bunten Röcken, Blusen, Kleidernoder Hosen. Ein gutes Drittel aller Darsteller trug Brillen. Auch Telramund und König Heinrich. Elsa wurde zur Barfüßerin – der einzigen, zuerst in hellgrauem Mantel, als Braut dann in weiß. Der Titelheld mit Bart unterschied sich optisch in keiner Weise vom restlichen bürgerlichen Personal. „Bürgerhochzeit“ wäre ein weiterer Titelvorschlag. Wozu man da Lohengrin eigentlich brauchte? Als er sich aus der Menge herausrang, dachte ich sogleich an Politik. Man braucht einen Zuzügler, jemanden, der so etwas wie eine neue Partei gründen könnte. Quasi gegen seinen Widerstand hatte man ihn aus der Menge herausgezogen. – Die Ansprachen des sehr bürgerlich anmutenden Königs und die Meldungen des Heerrufers erinnerten anWahlpropaganda. ( „Für deutsches Land das deutsche Schwert“ ist dann sowieso schlimm genug….) Ortruds Anrufung ihrer Götter im Gegensatz zum offensichtlichen Eingottglauben ihres Ehgemahls waren wohl auch mehr Politik als Religion. 5 lebensgroße Stoff- oder Plastikschwäne werden von Elsas Freundinnen auf blaue Stoffstücke gebettet. Die gerettete Braut kriegte vom Bräutigam ein kleines Schwänchen in die Hand gedrückt. Das schmeißt sie nach ihrer fatalen Frage einfach weg. Der unritterliche Ritter fertigt seinen Kampfgenossen in Ermangelung von Waffen mit einer gewaltigen Ohrfeige (im süddeutschen Sprachraum auch “Watschen“ oder „Tetschen“ genannt) ab, die den sofort zu Fall bringt. Als der „friedreiche Graf“ ins Brautgemach eindringt, reicht Elsa ihrem Partner ein Messer zur Mordtat. Lohengrin, der nach Betreten des sog. Brautgemachs die schwarze Jacke auszieht, die Ärmel des sauberen weißen Hemds hochkrempelt, dieses aus der Hose zieht und die Hosenträger abstreift, lässt schon weitere Entblößungen befürchten, die aber enttäuschenderweise nicht eintreten. Solchermaßen schlampig aussehend, wirft er sich auf das große quadratische Pseudobett (das sich nach Wegziehen des weißen Leintuchs als harte Metallstruktur entpuppt), wo zuvor schon alle Beteiligten am Brautchor Platz genommen hatten. Nach Elsas fataler Frage sinkt er dort verzweifelt zusammen, ehe er sämtliche Schwäne mit Fußtritten wegschleudert… Um es kurz zu machen: Am Ende wird aus der Menge heraus ein beliebiger Mann mittleren Alters und recht unedlen Aussehens zum „Gottfried“ erklärt, während Elsa mit dem Messer in der Hand dasteht, wenn der Vorhang fällt…
Reicht das zur Erläuterung großer Regiekunst an der Stätte der einstigen Wagner-Hochburg Stuttgart? Ich denke, ja. Àrpad Schilling heißt der Regisseur, Raimund Orfeo Voigt der Bühnengestalter, Tina Kloempken und Saskia Schneider sind die Kostümverantwortlichen. Ob sie alle schon einmal die Musik Richard Wagners gehört haben oder sie sowieso als störend empfanden, weiß ich nicht. An diesem schönen spätsommerlichen Sonntagnachmittag schien das fast ausschließlich lokale Publikum, in dessen Mitte ich mich recht fremd fühlte, jedenfalls wenig inkommodiert vom Gesehenen. Die Pausen am schönen Schlossteich mit dem hohen Springbrunnenwaren ja recht angenehm. Da musste man auch nicht viel über das Gesehene diskutieren….
Das Gehörte war erfreulich, wenn auch durch die Optik immer wieder gestört. Prächtiger, differenzierter, sehr lebendiger Chorgesang (Leitung: Manuel Pujol) machte Wagners Intentionen verständlich, zumal die Damen und Herren auch mit großem Einsatz spielten, Interesse und Teilnahme am Geschehen zeigten. Dieses sehr lebendige „Volk“ verdrängte beinah die Hauptpersonen.Wieder ein sozialpolitischer Aspekt? Oder gar ein kommunistischer? Einzelpersonen sind ja nicht wichtig? So stand Elsa meist irgendwo unauffällig an der Seite – wer ist sie denn schon mit ihren stupiden Phantasien vom Wundermann auf dem Schwan? Simone Schneider, die sich noch dazu wegen einer vielleicht noch nicht ganz überwundenen Erkältung ansagen ließ, aber keine stimmlichen Einschränkungen zeigte, tat mir leid. Ihr jugendlich dramatischer Sopran ist ausdrucksstark und ihr Einsatz intensiv. Jungfräulich wirkte sie nicht, eher wie eine schon sehr selbstbewusste Frau, die weiß, was sie tut. Michael König sang den namenlosen Retter ihrer Ehre ausgezeichnet, sehr wortklar, flexibel, wo nötig, mit tenoraler Strahlkraft, wo gefordert. Dass man ihn der Herkunft aus einer anderen Welt beraubte, ist bedauerlich. Einer von vielen Kleinbürgern singt doch wohl nicht solche Töne und Texte… Friedrich von Telramund, hier ein verklemmter, nach dem Verlust seines Kriegerruhms gänzlich verstörter Mensch, den nur noch seine vokale Kraft vom totalen Zusammenbruch retten kann, wurde nach bestem Wissen und Gewissen des Regisseurs von Martin Gantner dargeboten.Der König: groß. gut aussehend, nett und freundlich lächelnd, mit angenehmem Bass: Goran Juric. Seine Botschaften mit Nachdruck artikulierend: Shigeo Ishino als Heerruferim profanen Umfeld.Eine einzige Wagner-gerechte Rollenverkörperung: die Ortrud von Okka von der Damerau: stimmlich eine Wucht, im Auftreten als kräftige, mit effektvollem Damenkleid ihre undamenhafte Botschaft von sich gebend, war sie der Star des Abends.
Zu gratulieren ist dem Dirigenten und neuen GMD der Stuttgarter Staatsoper, Cornelius Meister, dessen erste Premiere am Hauses war. Ihm stand die Musik zur Verfügung – diese herrliche,traumhaft schöne Musik, die uns, wie später der „Parsifal“, in Räume entführt, die „nicht von dieser Welt“ und doch beglückend, wunderbar rätselhaft und dochvon Menschen verkörpert wird. Elsa hat sie erschaut, Lohengrin vertritt sie, der Chor besingt sie, Richard Wagner bringt sie uns in Wort und Ton, in Bild und Farben ganz nahe. Die kann nicht einfach weginszeniert werden. Wer es dennoch versucht, hat nichts von ihr begriffen. Mit purer Rationalität ist ihr nicht beizukommen.
Die Story kann hinterfragt werden, die Musik nicht. Das Staatsorchester Stuttgart sitzt ziemlich tief im Graben – da kann man mit Genuss spielen, was der Komponist geschrieben hat und der Dirigent mit dem Plenum perfekt in den gewünschten Zauberklang umzusetzen weiß.
Sieglinde Pfabigan