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STUTTGART: LOHENGRIN – Premiere

Zu viele Fragen gestellt statt beantwortet oder ein Triumph des Chores

30.09.2018 | Oper

 


Imposante Ortrud: Okka von der Damerau und schwächlicher Telramund: Martin Gantner. Copyright: Matthias Baus

Stuttgart

„LOHENGRIN“ 29.9.2018 (Premiere) – Zu viele Fragen gestellt statt beantwortet oder ein Triumph des Chores

Ein Neubeginn in allen Sparten des größten, Oper, Ballett und Schauspiel umfassenden Theaters in Europa machte diese Premiere zu einem besonderen Anlass, der gleichzeitig ein Signal für das musikalische und szenische Niveau der nächsten Jahre setzen sollte. Diesbezüglich ist es bedauerlich, dass mit Arpád Schilling ein Regisseur engagiert wurde, der so viele Zweifel an der Handlung von Wagners romantischer Oper hegte, dass die zentrale Frage entstand, warum er sich dann überhaupt für eine szenische Umsetzung entschieden hat.

Wobei sein Grundkonzept, ein leerer, allerdings durch Lichtgestaltung atmosphärisch durchaus flexibler Raum in den Farbtönen schwarz, grau und weiß, eine ideale Grundlage für eine konzentrierte Personenregie bietet, und dieses Konzept bereits Wieland Wagner zu seinem Markenzeichen gemacht hatte. Nur mit dem Unterschied, dass der Wagner-Enkel mit Scheiben arbeitete und Schilling mit einem Kreidekreis, Namensgeber eines von ihm in seinem Heimatland Ungarn gegründeten Ensemble, das ohne Ausstattung in allen möglichen Räumen, losgelöst von einer Bühne, spielt.

Dieser Kreidekreis markiert in allen drei Akten, unterschiedlich beleuchtet, den Ort von Auseinandersetzungen, zuerst dem Duell, dann den intimen Auseinandersetzungen des zweiten und dritten Aktes (Bühnenraum: Raimund Orfeo Voigt). In diesen privaten Begegnungen findet Schilling zu handwerklich eindringlichen Aktionen in Verbindung mit einem körperlich und mimisch natürlichen Ausdruck. Auch mit der Chorgemeinschaft hat er gut beobachtete Verhaltensweisen einstudiert, die die Rolle des Volkes zwischen reinem Kommentator und aktiver Teilhabe detailreich aufsplittert. So leer wie der Bühnenraum und so stillos die von anfänglichem Grau zu beliebiger Buntheit wechselnden Kostüme (Tina Kloempken) sind, so enthoben ist das Geschehen aller historischen brabantischen Vergangenheit. Eine wie vom Regisseur behauptete Zeitlosigkeit der Handlung müsste allerdings mehr ästhetischen Charakter aufweisen. Das eigentliche Problem ist jedoch sein tiefes Misstrauen in die Figur Lohengrins als von Zauber umwehtem Deus ex machina und in eine per Gottesgericht gefällte Rechtssprechung. Stattdessen stellt er Fragen über Fragen an die Rolle der Gemeinschaft, an der es doch liege, den Konflikt selbst zu lösen und einen Nachfolger für ihre Führung zu bestimmen. So stehen sich Lohengrin und Telramund kampflos am Rand des Kreises gegenüber, bis das Volk ersteren als Sieger hineinstößt. Da bleibt Wagners blechgepanzertes und zuletzt strahlend überglänztes Signal wie an noch anderen Stellen dieser Inszenierung im Leeren stehende Behauptung.

Gemäß der Absage einer höheren Instanz ist Lohengrin ein biederer, unscheinbarerer Mann aus dem Volk in Grau, enthoben alles umwehenden Geheimnisses. Bei seinem Auftritt drückt er Elsa einen Spielzeugschwan in die Hand, der im Laufe des Abends mehrfach auftaucht. Die großen, wie gerupft wirkenden Schwäne, die Lohengrin nach Elsas verbotener Fragestellung unter dem großen schlichten Bett zutage fördert und gegen die Wand donnert sowie die Elsas Kirchengang auf einem blauen, aus den Innenseiten des sich seiner Jacken entledigenden Volkes zusammengefügten Wasserlaufes drapierten kleinen Schwäne sind denn doch ein Zuviel an Frage stellender Symbolik.

Am Ende kann es in diesem Konzept folgerichtig auch keine Entzauberung geben. Zum neuen Führer wird im Hauruck von Ortrud ein Mann aus dem Volk auf das stehen gebliebene Bett gezerrt. Zuletzt richtet Elsa ein Messer gegen sich, während sich das Volk bedrohlich gegen sie wendet, als ob sie die Schuldige wäre. Müßte ein Volk, so fortschrittlich und demokratisch aufgeklärt es vom Regisseur intendiert ist, nicht Verständnis dafür haben und froh sein, dass Elsa die verbotene Frage gestellt hat??? Somit fällt der Vorhang in totaler Verwirrung.

Musikalisch wurde die Premiere zu einem deutlichen Bekenntnis, welche Qualität auch in den kommenden Jahren zu erwarten sein darf. Das betrifft zunächst einmal die fortführend herausragende Stellung des Staatsopernchores, der auch unter der neuen Leitung von Manuel Pujol eine Geschlossenheit und durch die Stimmgruppen gleichwertig hohe vokale Potenz beweist und hinsichtlich der vielfach schattierten Einsätze in Wagners Oper von schwebend leichten Phasen bis zum Crescendieren ins volle Forte ein Klangereignis bietet. Unterstützt von seiner darstellerisch differenzierten Hingabe bildete er als Gemeinschaft das Kraftzentrum der Aufführung.

Abgesehen von einem etwas irritierend unruhigen Einstieg der hohen Streicher im Vorspiel und dem hin und wieder in der Lautstärke noch etwas unausgewogenen Klangbild, das er als neuer GMD in weiteren Aufführungen mit zunehmender Erfahrung mit der Akustik des Hauses sicher noch ausgleichen wird, präsentierte sich das Staatsorchester Stuttgart unter der Führung von Cornelius Meister als versierter Klangkörper in der Ausformulierung eines Werkes zwischen melodischer Reichhaltigkeit und motivisch verästeltem Musikdrama. Den zusätzlichen Blechbläsern wurde an den geforderten Stellen auf der Bühne und am Ende des zweiten Aktes wirkungsvoll in den Seitenlogen positioniert, der entsprechende Raum zur Entfaltung gegeben. Bei überaus flüssigen, Spannungsabfälle vermeidenden Tempi und Unterstützung der vokalen Bedürfnisse erreichte der 38jährige Hannoveraner eine von Impetus getragene und emotional unterfütterte Wiedergabe., wofür er mit den Musikern ebenso lautstark gefeiert wurde wie der Chor, den passend dazu erst am Vortag bereits zum 11. Mal die Ernennung zum Chor des Jahres durch die Zeitschrift „Opernwelt“ erreichte. Herzlichen Glückwunsch!       

 
Gleichwertiges Paar:  Simone Schneider als Elsa und Michael König als Lohengrin. Copyright: Matthias Baus

In der Titelrolle konnte sich Michael König trotz der verordneten szenischen Unauffälligkeit, die bei der Hochzeit durch einen Anzug immerhin einen passenderen Anstrich bekam, mit durchgehend stabilem vokalem Profil erfreulich behaupten, bietet sein angenehm hell timbrierter Zwischenfachtenor doch alle Register von tragfähiger lyrischer Phrasierung bis zu fast immer klaren, unforcierten und glanzvollen Höhen. Den vielfach geforderten oberen Passagiobereich beherrscht er so flexibel, dass er seinem Vortrag viele Ausdrucksnuancen abgewinnen kann. Die Brautgemachszene entwickelt sich durch die auf künstlerischer Augenhöhe mit ihm stehende Simone Schneider bei stetiger Steigerung zu einem vokalen Gipfelpunkt. Mit ihrem sicher verankerten, in der Tiefe immer mehr dunkle Fülle aufweisenden Sopran kann sie bei dynamischer Handhabung sowohl leise verinnerlichte wie emphatische Töne voller Kraft und drucklosen Spitzen abrufen. Mehr Frau als reifes Mädchen lässt sie ein gewisses Fehlen an lieblichem Tonfall nicht vermissen. Ein gut bestandenes Rollendebut, dem die ebenfalls erste Ortrud von Okka von der Damerau gegenüber steht. Den ihr voraus eilenden exzellenten Ruf als Hoffnung für das dramatische Mezzofach kann sie, begünstigt durch ihre große imposante Erscheinung voll erfüllen, mischt sie doch viel Glut und Expressivität in ihren Vortrag, dem sie eine Mühelosigkeit bis in die wilden Ausbrüche mit attackierten Höhen verleiht, dass bereits um ein zu frühes Verpulvern gebangt werden muss. Bei dunklerer Timbrierung könnte ihr Einsatz noch mehr faszinieren, so tendiert sie schon hörbar zum Sopran mit gefestigter Tiefe.

Martin Gantner gestaltet einen biederen Telramund mit durchaus klaren und bestimmenden Ausdrucksakzenten und sicherer Durchsetzungsfähigkeit, denen eine etwas baritonalere Färbung noch besser anstehen würde. Vielleicht hätte er mit Shigeo Ishino tauschen sollen, der mit seinem etwas herben, charaktervoll fülligen Bariton die Verkündungen des Heerrufers bestimmend verlautbarte. Bleibt noch Goran Juric als König mit würdevollem Bassfundament und immanenter körperlicher Statur, der sich hier zunehmend als einer aus dem Volk unter dieses mischte. Die Vier Edlen sind mit Torsten Hofmann, Heinz Göhrig, Andrew Bogard und Michael Nagl jeweils zur Hälfte altgedienten und Nachwuchskräften anvertraut.

In den insgesamt rauschenden und bei den Einzelvorhängen ovationsmächtigen Applaus mischte sich für das Regieteam erstaunlich wenig Widerspruch, obwohl in den Pausen viele erboste Meinungen zu vernehmen waren.                                                          

Udo Klebes    

 

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