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STUTTGART: LOHENGRIN. Premiere

Leerer Raum setzt auf Reduktion

30.09.2018 | Oper


Copyright: Matthias Baus/Staatsoper Stuttgart

Richard Wagners „Lohengrin“ als Premiere in der Staatsoper Stuttgart

LEERER RAUM SETZT AUF REDUKTION

Premiere von Richard Wagners „Lohengrin“ am 29.9.2018 in der Staatsoper/STUTTGART

Arpad Schilling hat bei seiner Inszenierung einen betont strukturalistischen und modellhaften Ansatz. Die Bühne wird ganz in Schwarz gehalten, der leere Raum setzt auf Reduktion des Geschehens. Man spürt, dass Schilling an Führungspersonen zweifelt. Im Mittelpunkt seiner eher schlichten Inszenierung steht die Frage, warum die Brabanter das Unrecht an Elsa zulassen. Die Gesellschaft ist hier deutlich aus dem Gleichgewicht geraten, es ist eine Gesellschaft für Männer, in der Frauen keinen Platz haben. Man will dem König als Führungsperson aber folgen. Die Brabanter empfinden den Sieg über Telramund als Sieg über ein altes System – Parallelen zu Schillings Geburtsland Ungarn im Jahr 1989 tun sich auf. Das System ist dort ohne Zutun des Volkes zusammengebrochen. Lohengrin möchte bei Schilling in einer Notlage helfen. Unterschiede zwischen Menschen werden deutlich herausgestellt.

Für Arpad Schilling war Wagner Lohengrin. Aus der aufgeregten Menge tritt Lohengrin heraus. Er will sich aber auch wieder unter die Menge mischen. Ortrud benutzt hier gekonnt die Männer für ihre Pläne. Und Elsa ist bei Schilling eine Frau, die sich mitteilen kann, die ihre Probleme zu lösen versucht. Lohengrin versucht vergeblich, vollkommen zu sein, tappt in die Falle, hat wie die Menge viele Geheimnisse. Bei der Gralserzählung klammert sich Lohengrin verzweifelt an das Gute. Zuvor hat er viele Schwäne unter dem großen Ehebett hervorgerissen, nachdem ihm Elsa unfreiwillig sein streng gehütetes Geheimnis entlockte. Im zweiten Akt werden diese Schwäne ebenfalls fast ritualartig von der Menge ins Wasser gelegt. Blaue Tücher sind dafür kreisförmig ausgelegt worden. Auch Telramund hat mit Kreide einen Kreis gezogen, dem fast okkulte Bedeutung zukommt. Später will er diesen Kreis wieder krampfhaft entfernen. Lohengrin sucht immer wieder die Distanz, was bei der Inszenierung stellenweise fast zu kurz kommt. Aber der ungeheure Kampf zwischen Elsa und Ortrud wird in starker Weise herausgestellt. Da gibt es elektrisierende Spannungsmomente, die durchaus unter die Haut gehen. Lohengrin überreicht Elsa auch zu Beginn einen kleinen Spielzeugschwan, den Elsa zuletzt wieder wie eine Waffe hervorholt. Lohengrin weiß auch, dass Elsas Bruder Gottfried tatsächlich ermordet wurde.

Schilling zeigt in seiner Inszenierung trotz mancher szenischer Schwächen überzeugend auf, wie gefährlich es für Menschen ist, wegen Visionen den Blick für die Realität zu verlieren. Gerade hier hätte das Bühnenbild von Raimund Orfeo Voigt (Kostüme: Tina Kloempken) noch stärker mit Licht- oder szenischen Verwandlungseffekten arbeiten können. So wird manche visuelle Möglichkeit einfach verschenkt. Bei Schilling hinterlässt Lohengrin durch sein Verschwinden eine Leerstelle. Es kommt zu einem düsteren Happy End, denn Ortrud reisst nach Telramunds Ermordung durch Lohengrin das Zepter forsch an sich. Elsa zieht verzweifelt ein Messer, um sich vor der Menschenmenge zu schützen. Lynchjustiz droht. Da fällt der Vorhang. Es ist ein starkes Bild.


Michael König, Simone Schneider. Copyright: Oper Stuttgart/ Matthias Baus

Musikalisch überzeugt die Aufführung noch wesentlich mehr wie die Inszenierung. Das liegt vor allem am umsichtig-temperamentvollen Dirigenten Cornelius Meister, der alle thematischen Fäden des Werkes mit dem Staatsorchester Stuttgart zusammenhält. Im überirdischen Sog der Streicher kann sich die eindringliche Melodik dieses Werkes bestens entfalten, man spürt förmlich die  Niederkunft des Grals, auch wenn auf der Bühne nichts geschieht. Vier einzelne Geigen lassen sich in höchster Höhe und reinster Harmonie vernehmen. Die Reduktion des Bühnenbildes wird dadurch aufgebrochen. Michael König vermag als strahlkräftiger Tenor in der Rolle Lohengrins bis in die höchsten Spitzenlagen seine Zuhörer zu fesseln, der geheimnisvolle gesangliche Schwebezustand zwischen A-Dur und As-Dur prägt sich tief ein. Der voluminöse Bassist Goran Juric verleiht dem majestätischen C-Dur als König Heinrich besonderes Gewicht. Von großartiger Wirkungskraft ist die berührende Elsa der Sopranistin Simone Schneider, deren B-Dur-Kantilenen sich klangfarblich immer wieder verändern und den gesamten Raum des Opernhauses imponierend ausfüllen. Die geschlossenen und weit ausgreifenden Melodien gestaltet Simone Schneider mit bewegender Emphase. Sie ergänzen die klagend eindringlichen Klänge der Oboe und des Englischhorns.
Eine dämonisch-verschworene Gemeinschaft bilden Okka von der Damerau (Mezzosopran) als Ortrud und Martin Gantner (Bariton) als Telramund, deren glühende fis-Moll-Momente zu zahlreichen akustischen Höhepunkten führen. Im dröhnenden Gang der Tonleiter behauptet sich Martin Gantners Telramund gegenüber der tobenden Menge mit ungeheurem Trotz. Ganz versteckt blitzt hier schon die „Götterdämmerung“ auf. Noch ausbaufähig ist die Durterz Fis-Ais bei Ortruds Götteranrufung, wo Okka von der Damerau ihre stimmlichen Möglichkeiten sogar noch weiter steigern könnte.

In weiteren Rollen gefallen Shigeo Ishino als robuster Heerrufer des Königs, Torsten Hofmann als erster Edler, Heinz Göhrig als zweiter Edler, Andrew Bogard als dritter Edler und Michael Nagl als vierter Edler. Sie alle zeichnen sich durch stimmliche Ebenmäßigkeit aus. Hervorragende Leistungen vollbringt der von Manuel Pujol sorgsam einstudierte Staatsopernchor Stuttgart.

Die Trompeter stehen bei der Zwischenaktsmusik fast militärisch auf der Bühne. Dadurch ergeben sich wiederholt starke akustische Effekte. Dass der Gesang überall der Deklamation entsprungen ist, macht Cornelius Meister mit dem Ensemble einfühlsam deutlich. Da werden auch die motivischen Zusammenhänge plastisch offengelegt. Der C-Dur-Aufruf der vier Trompeter beim Erscheinen des Königs besitzt hier deutlich signalhafte Wirkungskraft im Sinne des Heerrufers. Die Dehnung dramatischer Empfindungen und eindringlicher Gefühlsmotive stellt Cornelius Meister als Dirigent leuchkräftig heraus. Vor allem kommen die ekstatischen Momente dieser Musik nie zu kurz. Das Überirdische und Sphärenhafte verschwindet am Ende in endlosen Höhen – und der Chor blickt dem entschwindenden Lohengrin fassungslos nach. Und das in Moll ertönende „Lohengrin“-Motiv weicht letztendlich dem überirdischen Klanggebilde des „heiligen Grals“. Es gab großen Jubel für die musikalischen Leistungen, „Buh“-Rufe und Beifall für das Regieteam. 

Alexander Walther

 

 

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