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STUTTGART/ Liederhalle: DREIKÖNIGSKONZERT / Stuttgarter Kammerorchester/ Foremny/ Fazil Say/ Pessatti

06.01.2015 | Konzert/Liederabende

Dreikönigskonzert mit dem Stuttgarter Kammerorchester im Beethovensaal der Liederhalle: BOMBASTISCHE WUCHT

Stuttgarter Kammerorchester gastierte am 6. Januar 2015 mit Fazil Say im Beethovensaal der Liederhalle/STUTTGART

Die französische Zeitung „Le Figaro“ bezeichnete ihn als ein „Genie“ – und man kann verstehen, warum. Der türkische Pianist Fazil Say riss auch das Stuttgarter Publikum bei seiner Interpretation des dritten Klavierkonzerts in c-Moll op. 37 von Ludwig van Beethoven aufgrund seiner ungewöhnlichen Wiedergabe hin. Matthias Foremny begleitete ihn als Dirigent des fulminanten Stuttgarter Kammerorchesters forsch und rasant zugleich. Die sehr persönliche musikalische Aussage stand hier deutlich im Vordergrund, denn Fazil Say arbeitete vor allem den stürmischen Charakter des kämpferischen Komponisten Beethoven glänzend heraus. Der Gegensatz zwischen Orchester und Instrument löste sich so stellenweise wieder auf, es ergaben sich faszinierende dynamische Kontraste. Vor allem die sinfonische Themenverarbeitung wurde von den Musikern höchst konzentriert herausgearbeitet. Fazil Say unterstrich auch die lyrischen Passagen mit glasklarer Anschlagskunst, deren Elastizität und Klangzauber wirklich verblüffend waren. Das Formschema der einzelnen Sätze mit Sonatenform, Liedform und Rondoform geriet so nie aus den Fugen. Alles blieb im transparenten und flüssigen Gleichgewicht. Straffe Energie beherrschte das Hauptthema des Allegro con brio, das sich immer mehr zuspitzte. Beim anschmiegsamen Seitenthema stachen die kühnen Auseinandersetzungen grell hervor. Beide Themen erhielten in der Durchführung den letzten Schliff. Das Largo beeindruckte die Zuhörer durch die Tiefe des Ausdrucks und den jähen Wechsel der Tonart, was bei dieser Interpretation geradezu sphärenhaft wirkte. Poetischer Schimmer und träumerische Stimmung wechselten sich in wunderbarer Weise ab. Eulenspiegels Übermut setzte sich daraufhin im Rondothema des Schluss-Allegros durch. Wie ein Fangball prallte es zwischen dem Solisten und dem Orchester hin und her und spukte auch in rhythmischen Vermummungen ratlos weiter bis zum Schluss. Fazil Say interpretierte Beethoven, wie man ihn sonst nie hört. Als Zugabe spielte er noch sehr rubatoreich und traumverloren ein Stück von Chopin.

Die aus Brasilien stammende Mezzosopranistin Kismara Pessatti (Stipendiatin des Richard-Wagner-Verbandes) war dann die Solistin bei Manuel de Fallas „El amor brujo“ („Der Liebeszauber“) – es handelt sich hier um „Zigeunerszenen aus Andalusien“ aus dem Jahre 1915. Impressionistisch-farbig stellte sich das Stuttgarter Kammerorchester unter der elektrisierenden Leitung von Matthias Foremny vor, heiße Sinnlichkeit und leidenschaftliche klangliche Steigerungen ergänzten sich in geradezu atemloser Weise. Feurige Rhythmen tauchten so ins geheimnisvoll flüsternde Dunkel der Nacht, die Klangfarben leuchteten immer wieder hell auf. Mit tiefem Timbre wartete Kismara Pessatti auf, wobei sie ihrer Stimme viele Farbschattierungen verlieh. Differenzierte Harmonik und kontrapunktische Feinheiten führten bei dieser Wiedergabe zu akustischen Glanzpunkten. Der schwüle Zauber südländischer Nächte blieb so nachvollziehbar – erregende Töne und Klänge verbanden sich mit gleitenden Rhythmen. Das Stuttgarter Kammerorchester malte hier unter der Leitung von Matthias Foremny glutvolle Stimmungsbilder. Man begriff, wie sich das Mädchen Candela  (Kerze) von einem verstorbenen, brutalen Liebhaber löste, der aus dem Grab heraus Macht über sie hatte und sie sogar noch als Gespenst tyrannisierte. Candela fand neue Liebe mit dem gefühlvollen Carmelo. Flamenco-Effekte verbanden sich dabei mit lodernder Energie und lyrischen Episoden, die die Mezzosopranistin Kismara Pessatti gesanglich einfühlsam auffing. Ein polyphoner Reichtum durchzog vor allem „Die Glocken der Morgendämmerung“ als glanzvollen Abschluss dieses Werkes. Auch der „Tanz des Liebesspiels“ besaß bei dieser Interpretation wie die dämonischen mitternächtlichen „Beschwörungen“ großen Ausdruckszauber.

Zum Abschluss spielte das Stuttgarter Kammerorchester Ludwig van Beethovens Sinfonie Nr. 8 in F-Dur op. 93. Musikantische Gelöstheit und ungetrübte Heiterkeit wechselten sich dabei wirkungsvoll ab. Erstaunlicherweise wurde diese Sinfonie zu Beethovens Lebzeiten verkannt. Der heitere Humor setzte sich jedoch bei dieser stürmischen Wiedergabe unter Matthias Foremnys Leitung rasch durch. Das knappe und apollinisch lichte Werk konnte sich in seinem Ausdrucksreichtum ganz entfalten. Eine fast festliche Heiterkeit atmete das einprägsame Hauptthema, das im Nachsatz Töne kräftigen Übermuts einbezog. Als Seitenthema erklang ein ausgesprochen zärtlich musizierter Ländler, der sich schon im fünften Takt des Kopfthemas ankündigte. In ständig wechselnden Kontroversen und Kopplungen spielte die Durchführung diese Gedanken in spannender Weise gegeneinander aus. Die mit geistvollen Feinheiten bedachte Instrumentation wurde sichtbar. Wie im Triumph zogen die Themen in der Reprise vorüber und mündeten in eine herrliche Apotheose des Kopfmotivs. Das Allegretto scherzando als zweiter Satz klopfte mit den Bläsern in tickender Monotonie an, die den Takt zu dieser zierlichen Melodie vorgaben. Im reizvollen Wechsel der Klangfarben zog dieser kunstvoll interpretierte Satz vorüber. Das Menuett als dritter Satz besaß deutlichen Scherzo-Charakter, dessen Ländlerklänge aus dem Wienerwald in eine volkstümlich klingende Hornmelodie mündeten. Humor bis zur Wildheit strahlte im strettahaften Finale auf, wo sich das Hauptthema mit eigensinnigen Sprüngen behauptete. Leise jagte es daher, ehe es dem vollen Orchester aufgepeitscht überantwortet wurde. Das innige Seitenthema kam gefühlvoll zu Wort – aber gegen den unheimlichen Elan des Hauptthemas war es machtlos. Diese kunstvolle Entwicklung hätte man zuweilen sogar noch spannungsvoller musizieren können, doch das Stuttgarter Kammerorchester beschwor die urtriebhafte Gewalt der Komposition am Schluss in einer ekstatisch hochgetriebenen Steigerung in ausgezeichneter Weise. Die beiden neuen, ruhigen Themen setzten hier nuancenreiche Kontraste. Zuletzt gab es noch eine kompakt gespielte Beethoven-Zugabe aus dessen erster Sinfonie. Kontrast-Effekte bekräftigten den ausgelassenen Scherzo-Schwung. Dieses ungewöhnliche Konzertereignis wurde wieder von der Kulturgemeinschaft organisiert.

 Alexander Walther    

 

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