StuttgartWerke von Joseph Haydn am 30.1.2022 im Beethovensaal der Liederhalle – Internationale Bachakademie
Eine besondere Harmonik
Copyright: Holger Schneider
Zwei Werke aus Joseph Haydns später Schaffenszeit standen auf dem Programm der Internationalen Bachkademie. Unter der einfühlsamen Leitung von Hans-Christoph Rademann musizierte die Gaechinger Cantorey zunächst die Sinfonie Nr. 95 c-Moll („Londoner Sinfonie“) Hob. I: 95. Sie knüpft an Haydns Sturm- und Drang-Zeit an. Pathos und Energie des Kopfthemas im ersten Satz erinnerten hier stark an Wolfgang Amadeus Mozart. Das zweite Thema gefiel mit weichen Hornklängen. Rademann verleugnete die verdeckte Leidenschaft dieses Werkes nicht. Dieses zweite Thema setzte sich in der Durchführung energisch durch und sorgte für eine Dur-Aufhellung. Schwelgerisch kam die Melodie des Andante daher, die ihren Zauber in allen Variationen dieses Satzes ausstrahlte. Das Menuett erinnerte tatsächlich an Beethoven – insbesondere im schönen Cello-Solo des Trios. Stürmisch wirkte das Vivace-Finale, wo wie im ersten Satz das Kopfmotiv in reizvoller Weise hervorblitzte. Die thematischen Parallelen überzeugten durch die hohe Kunst der Verarbeitung, die Rademann mit der Gaechinger Cantorey wirkungsvoll betonte. Manches erinnerte sogar an Mozarts „Jupiter-Sinfonie“. Dies zeigte sich nicht nur bei der Coda, sonder auch im reizvollen Wechsel von C-Dur nach c-Moll. Die Gaechinger Cantorey musizierte hier mit feiner Durchsichtigkeit. Hervorragend war auch der Eindruck, den die kompakte Wiedergabe von Haydns „Nelsonmesse“ (Missa in angustiis Hob. XXII:11) unter der Leitung von Hans-Christoph Rademann hinterließ. Dieses in d-Moll stehende Werk entstand innerhalb kurzer Zeit zwischen dem 10. Juli und dem 31. August 1798. Den Hintergrund bildet der Sieg Admiral Nelsons über Napoleons Flotte in der Seeschlacht des Abukir am 1./2. August 1798 vor der ägyptischen Küste. Lady Hamilton soll eine große Verehrerin Haydns gewesen sein. Sie war zusammen mit Noratio Nelson bei der Uraufführung in Eisenstadt anwesend und wich nicht von Haydns Seite. Sophia Brommer (Sopran), Anke Vondung (Alt), Maximilian Schmitt (Tenor) und Jochen Kupfer (Bass) imponierten als Gesangssolisten aufgrund emphatischer Intonation und leidenschaftlicher Deklamation. Bedrängnis, Not und Gefahr ließ auch der Chor in bewegender Weise erklingen, wobei Rademann die drohenden Fanfaren des „Kyrie“ überzeugend herausarbeitete. Drei Trompeten und Pauken sorgten immer wieder für glanzvolle akustische Höhepunkte. Der pastorale Charakter des „Benedictus“ fiel ebenfalls in besonderer Weise auf. Die Elemente der Affektsprache wurden hier keineswegs übermäßig betont. So blieb alles im dynamischen Gleichgewicht. Eine Steigerung der Klangreize wäre hier noch möglich.
Alexander Walther