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STUTTGART/ Liederhalle: WAR REQUIEM von Benjamin Britten unter Teodor Currentzis. Symbol der Versöhnung

07.06.2024 | Konzert/Liederabende

„War Requiem“ von Benjamin Britten am 6. 6. 2024 im Beethovensaal der Liederhalle/STUTTGART

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Symbol der Versöhnung

Das „War Requiem“ von Benjamin Britten entstand 1964. Dieses monumentale Werk nach Gedichten von Wilfred Owen und Texten aus der „Missa pro defunctis“ ist ein beeindruckender Klagegesang für die Toten des letzten Krieges und bringt eine fantasievolle Synthese vieler Stilelemente von der Gregorianik bis zur Gegenwart. Teodor Currentzis arbeitete als umsichtiger Dirigent diese Aspekte der vielschichtigen Partitur mit dem SWR Symphonieorchester sehr präzis heraus. Die Gesangssolisten Irina Lungu (Sopran), Allan Clayton (Tenor) und Matthias Goerne (Bariton) wurden den unterschiedlichen Klangmitteln zusammen mit dem SWR Vokalensemble (Einstudierung: Yuval Weinberg), dem London Symphony Chorus (Einstudierung: Mariana Rosas) sowie dem Knabenchor collegium iuvenum Stuttgart (Einstudierung: Sebastian Kunz) in hervorragender Weise gerecht.

Die Trauerbekundungen des lateinischen Requiem-Textes erreichten aufgrund der eindringlich gestalteten Kantilenen von Irina Lungu eine große Intensiät und Ausdruckskraft. Die Stimmen von Tenor und Bariton übernahmen dann die bewegend gestalteten Gesänge der Gefallenen. Die von ferne erklingenden Stimmen des Knabenchors beschworen sphärenhaft Erlösung und ewige Ruhe. Nach dem kompakt gestalteten „Requiem aeternam“-Prolog  zeigte das „Dies irae“ als Tag des Jüngsten Gerichts einen ungeheuer aufwühlenden Charakter mit vielen dynamischen Kontrasten und rhythmischen Finessen. Im „Offertorium“ fesselte vor allem das „Gleichnis vom alten Mann und dem Jungen“. Weitere Höhepunkte waren „The End“ im „Sanctus“, „An einem Wegkreuz an der Ancre“ im „Agnus Dei“ sowie „Seltsame Begegnung“ am Schluss. Überall wurde bei dieser bemerkenswerten Wiedergabe das überwältigende  Symbol der Versöhnung deutlich. Die Plastik des musikalischen Aufbaus arbeitete Currentzis mit dem Ensemble sehr gut heraus, die stereophonische Verteilung auf drei selbständige Klanggruppen blieb so nicht verborgen. Die motivischen Beziehungen blitzten immer wieder leuchtend hervor, alle melodischen Ströme flossen so überwältigend zusammen. Dies galt gleich zu Beginn für den dumpfen Marsch des großen Orchesters mit schleppenden Auftakten und Sechzehntel-Quintolen, wo Glocken geheimnisvoll geschlagen wurden. Eine Tritonus-Spannung in fis und c machte sich eindringlich bemerkbar. Der ganze erste Chorsatz wurde in machtvoller Weise von diesem Intervall beherrscht, das Currentzis glutvoll herausmeisselte. Jäh brach dann der Solotenor in den ersten heftigen Protest aus, begleitet von dem chromatischen Tritonus-Tremolo der Harfe und dem erregten Marschthema des Kammerorchesters. Das „Kyrie eleison“ endete in reinem F-Dur – ein erster akustischer Höhepunkt dieses Konzertabends. Auch die synkopierten Signale der Posaunen, Trompeten und Hörner leiteten dann in unheimlichem Pianissimo das „Dies irae“ des großen Chores ein. Dynamische Steigerungen betonte das Ensemble unter Teodor Currentzis sehr überzeugend. Abgerissen und atemlos betonte der Chor im Siebenvierteltakt die vier ersten Strophen. Der Fortissimo-Ausbruch des „Tuba mirum“ wirkte bei dieser Interpretation umso erschütternder. Und Matthias Goerne interpretierte seinen schwermütigen Gesang als facettenreicher Solobariton sehr bewegend. Mit großen und imponierenden Intervallsprüngen beschwor  die stimmgewaltige Sopranistin Irina Lungu die Vision vom Jüngsten Gericht. Die angstvoll pochenden Ostinato-Schläge der Pauke prägten sich hier tief ein. Das harte „Confutatis maledictis“ der Chorbässe wurde ausgezeichnet getroffen. Die Anrufung Jesu Christi im „Offertorium“ durch die psalmodierenden Knabenstimmen gelang wunderbar sphärenhaft von der Empore des Beethovensaals herab. Auch die lebhafte Achtelbewegung der Holzbläser war prägnant. Im „Sanctus“ hatte der Solosopran nochmals einen großen Auftritt, Irina Lungu betonte die ekstatische Melodik in berührender Weise. Das riesige Crescendo des großen Chors erstrahlte hier in ungeheurer polyphoner Klarheit.  Im „Agnus Dei“ wurden die beiden  Hauptgruppen melodisch eindrucksvoll zusammengefasst. Die traurige liedhafte Weise des Solotenors wurde von Dur- und Moll-Linien bewegend begleitet. Im „Libera me“ meldete sich nochmals die Marschbegleitung des erstren Tenorsolos. Chromatisch verengte Sekund-Schritte bei den „Libera me“-Passagen des Chores gewannen eine immer größere Intensität. Nach großer Steigerung sanken die verzweifelten Rufe immer tiefer hinab. Die Melodie der Knabenstimmen mündete in eine verklärte achtstimmige kanonische Verdichtung. Irina Lungus Solosopran zeigte nochmals brillanten Klangzauber.

Zuletzt großer Schlussjubel, Begeisterung.

Alexander Walther

 

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