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STUTTGART/ Liederhalle: TURANDOT – konzertanter Triumph

01.06.2016 | Oper

Stuttgart: „TURANDOT“ 31.5. 2016 (Liederhalle) – konzertanter Triumph


Lise Lindstrom (Foto in der Wiener Staatsoper). Copyright: Barbara Zeininger

Dan Ettinger, seit dieser Spielzeit Chefdirigent der Stuttgarter Philharmoniker, gehört zu den international meist beschäftigten Kapellmeistern im Opernrepertoire. Es lag also nahe, dass er sich auch in seiner hiesigen Funktion als Konzertchef der Oper widmen würde, so dass die von Vorgänger Gabriel Feltz mit Leidenschaft betriebene Schiene nun eine erfreuliche Fortsetzung fand. Mit Puccinis Lebensabschiedswerk hat er sich zwar eines der berauschendsten und kaum an einem Publikum vorbei zielenden Stücke ausgesucht, aber gleichzeitig auch eines, das mit seinem Massenaufgebot einen mit einem Orchester noch nicht so ganz vertrauten Leiter ganz besonders fordert. Doch genau darin scheint Ettingers Stärke zu liegen: einen großen Apparat aus Musikern, Chor und Solisten mit akkurater Schlagtechnik jederzeit sicher zu koordinieren, das Auf- und Abschwellen immenser dynamischer Gegensätze rhythmisch auszureizen und die einzelnen Stimmgruppen gebührend hervortreten zu lassen. Diesbezüglich konnten sich die Stuttgarter Philharmoniker mit rundum vollem Einsatz als absolut operntaugliches Ensemble präsentieren und immer wieder durch besonders hervorstechende klangliche Momente auf sich aufmerksam machen. Die farbenreiche Partitur mit ihren durch reichhaltig eingesetztes Schlagwerk erzielten asiatischen Klangformen gibt dazu auch hinreichend Gelegenheit. Das stramme, aber nie überbordende Blech, die vielen Holzbläsertupfer oder auch der immer wieder als breit duftender Teppich eingesetzte Streicherapparat mögen als Beispiele genannt sein. Trotz Ettingers spürbarer Begeisterung an pompösen Ballungen und Steigerungen sowie an einem satten Gesamtbild waren die Solisten nie zum Forcieren gezwungen.

Dass das eigentümliche Puccini-Blühen vor allem in den zarteren Momenten dabei nicht so ganz zum Tragen kam oder nicht speziell vom Pult aus gefordert wurde, darf als einzige Einschränkung nicht ganz unerwähnt bleiben.

Der für dieses Werk nicht unbedingt große Tschechische Philharmonische Chor Brünn (Einstudierung: Petr Fiala) bewies auf ein eindrückliche Weise, dass Quantität oft weniger ist, so präsent war er in das Klangbild eingefügt, dass sich seine Stimmen einerseits in leisen Passagen schwebend artikulieren und andererseits in den hymnischen Abschnitten über das Orchester legen konnten. Die schlank geführten Stimmgruppen beeindruckten ebenso wie das lebhafte Gestalten der großen Volksszenen, die Präzision in den leisen Momenten genauso wie in gegeneinander geschichteten Abschnitten. Wie umfassend Ettinger alles im Griff hatte, zeigte auch das genaue Einfügen der auf der weit entfernten Empore-Loge platzierten Aurelius Sängerknaben Calw (Einstudierung: Bernhard Kugler).

Glück im Unglück gab es bei der Titelrolle: Es wäre sicher spannend gewesen, die seit langem im dramatischen Fach beheimatete Maria Guleghina wieder in einmal in Stuttgart zu hören, doch leider war sie an einer Lebensmittelvergiftung erkrankt. Noch spannender gestaltete sich jedoch die Erstbegegnung mit der Einspringerin, der aktuell meist gefragtesten Turandot-Interpretin: Lise Lindström hatte die Männer mordende Prinzessin erst vor wenigen Wochen in einer Neuinszenierung an der Wiener Staatsoper vorgestellt. Die große schlanke blonde Kalifornierin ist insofern eine seltene Erscheinung in dieser Rolle, weil sie jugendliches Timbre und üppiges Stimm-Material vereint, von der Verinnerlichung einer verletzbaren Seele bis zur gleißenden Höhenattacke die ganze Palette ohne jegliches Forcieren parat hat und selbst in dramatischen Spitzen frei bleibt und eine Strahlkraft erreicht, die Kalaf, von dem dieses Gebot mehr zu erwarten wäre, in dieser Aufführung nicht erzielte. Das ist aber auch das einzige Manko an Marco Bertis ansonsten großzügiger tenoraler Umsetzung. Das Timbre ist eher durchschnittlich, die Farbgebungen sind eher sparsam, aber hinreichend gesetzte Akzente in den Phrasierungen sowie sichere Höhen künden von einem erfahrenen Rollenvertreter.

Ermonela Jahos erregend farbiger metallischer Sopran schien der Liu im ersten Moment entwachsen zu sein, doch bei „Signore Ascolta“ schaltete sie auf einen lyrischeren Gang um und zauberte sauber angesetzte und crescendierende Piano-Höhen herbei. Mit großer Emphase durchlitt sie auch ihre Folter bis zum Selbstmord, begleitet von Timur, den Stefano Palatchi anstelle des erkrankten Selcuk Cara übernahm: Der reife Bass klingt schon etwas trocken, schöpft jedoch mit viel Wissen und Gestaltungstiefe die manchmal unterschätzte Partie aus.

Das Minister-Terzett wurde ganz in rumänische Solisten-Hände gegeben: Ioan Cherata (Ping), Liviu Indricau (Pang) und Lucian Corchis (Pang) beteiligten sich hinter ihren Notenpulten auf der rechten Seite (die Protagonisten sangen links vom Orchester auswendig auf einer kleinen Spielfläche) mit spielerischem Drang und durchsetzungsfähigem Stimm-Potenzial, wobei der Bariton des Ersteren den beiden Tenor-Kollegen an Flexibilität etwas unterlegen war.

Äußerst potente Beiträge kamen von zwei Künstlern der Stuttgarter Oper: Heinz Göhrig als Kaiser Altoum mit kultiviert charaktervollem Tenor und als Luxusbesetzung Adam Palkas Mandarin mit auch von der obersten Seitenloge raumfüllend erzen tönendem Pracht-Bass.

Das Publikum in der so gut wie ausverkauften Liederhalle hatte zuletzt guten Grund zu großer Begeisterung und stehenden Ovationen.                                                           

Udo Klebes

 

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