Szenen aus Goethes „Faust“ von Robert Schumann konzertant mit der Staatsoper am 23.7.2022 im Beethovensaal der Liederhalle/STUTTGART
Seelengemälde von starker Größe
Foto: Martin Sigmund
Robert Schumanns Szenen aus Goethes „Faust“ mit ihrer großartigen Musik kamen bei dieser konzertanten Aufführung mit dem Staatsorchester Stuttgart und dem von Manuel Pujol hervorragend einstudierten Staatsopernchor Stuttgart sowie dem Kinderchor der Staatsoper Stuttgart (Einstudierung: Bernhard Moncado) unter der Leitung von Andre de Ridder sehr gut zur Geltung. Schon die Ouvertüre wirkte ausgesprochen eindrucksvoll und originell.
Starke Momente hatten auch die Gretchen-Szenen im Garten, vor dem Andachtsbild und auch im Dom. Mit schmiegsamer Orchesterbegleitung folgte das Duett der Gartenszene zwischen Faust und Gretchen, die in einem Blumenorakel gipfelten. Die pastorale Tonart F-Dur begleitete die erste Begegnung Gretchens mit Faust mit durchsichtiger Klarheit. Auch dem Stimmungswechsel und Aufschwung des Textes wurde damit Genüge getan. Dumpf und ausweglos endete dann Gretchens Gebet mit dem Verzweiflungsausbruch: „Hilf‘! Rette mich von Schmach und Tod!“ Dämonisch drohend erklangen schließlich die bohrenden Anklagen des bösen Geistes im Dom, worauf düster das „Dies irae“ des Chores folgte. Düsteres d-Moll und eherne Posaunenklänge untermalten dieses Geschehen hier eindringlich. Die zweite Gruppe fasste dann wieder drei Szenen zusammen, jetzt aus der Faust-Tragödie des zweiten Teils. Da war zunächst der vom Staatsorchester eindringlich geschilderte Sonnenaufgang, harfenumrauscht in lieblich verschleierter Schönheit. Die Modulation von d-Moll nach H-Dur gelang dem Staatsorchester unter der musikalischen Leitung von Andre de Ridder hier eindringlich. Auch der Gesang Ariels mit dem breiten, vollen Tonsatz bis zum Monolog Fausts hinterließ einen gewaltigen Eindruck. Und die hastig geheimnisvolle Szene „Ich heiße der Mangel“ blieb stark im Gedächtnis. Erst Fausts Tod mit Mephistopheles, Faust und Chor erreichte hier wieder echte und ergreifende Größe. Dies galt vor allem für den ernst verhallenden Schluss. Das Cellosolo bei Pater ecstaticus zeigte den Geist Schumanns wiederum in reinstem Licht. Sehr ausdrucksvoll wurde auch die dritte Gruppe als Epilog gestaltet. Sie ist am besten und eindrücklichsten gelungen. Trotz aller vorangegangenen Schönheiten erreichte sie ihre stärksten Wirkungen im Chorus mysticus „Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis“. Da hatte der Staatsopernchor Stuttgart großartige Momente. Seltsam entrückt und erhaben beginnend, steigerte sich dieser Teil bis zum gewaltigen Höhepunkt „Das Unbeschreibliche, hier ist’s getan“ – und ebbte dynamisch eindrucksvoll wieder ab bis zu dem leise verklärenden Schluss. Man spürte, dass dieses Werk selbst die „Faust“-Vertonung in Gustav Mahlers achter Sinfonie beeinflusst hat.
Foto: Martin Sigmund
Das leidenschaftlich-drängende Element wurde vor allem auch von den Sängerinnen und Sängern sehr überzeugend herausgearbeitet – allen voran Daniel Schmutzhard (Bariton) als Faust, Pater Seraphicus und Doctor Marianus sowie Esther Dierkes (Sopran) als Gretchen und Una poenitentium. Starken Charakterisierungsreichtum besaß ferner David Steffens (Bass) als Mephistopheles, Böser Geist und Pater Profundus. In weiteren Rollen überzeugten ferner Kai Kluge (Tenor) als Ariel und Pater Ecstaticus, Carina Schmieger (Sopran) als Marthe und Sorge, Kyriaka Sirlantzi (Sopran) als Not, Jüngerer Engel, Seliger Knabe und Magna Peccatrix, Natalia Srycka (Mezzosopran) als Mangel und Mulier Samaritana, Dalila Djenic (Alt) als Schuld, Jüngerer Engel, Seliger Knabe, Maria Aegyptiaca und Mater gloriosa sowie Jasper Leever (Bass) als Vollendeter Engel und Jüngerer Engel. Die Komposition dieser „Faust“-Musik zog sich über ein Jahrzehnt hinaus. 1844 schrieb Schumann zuerst den Epilog aus dem zweiten Teil, 1853 entstand dann als eine der letzten Kompositionen des kranken Meisters die Ouvertüre. Dass dieses Werk vor allem als Chor-Komposition gedacht war, ließ der Staatsopernchor Stuttgart in glänzender Weise deutlich werden. Schumann wählte nicht nur solche Partien, die Musik erfordern, sondern komponierte auch Szenen, bei denen Goethe keiner musikalischen Untermalung bedarf. Er traf eine ganz freie Auswahl, gliederte dann die gewählten Szenen in drei gedanklich zusammenhängende Teile und erreichte so eine starke Wirkung. Dies kam bei der Aufführung im Beethovensaal auch sehr überzeugend zur Geltung.
Alexander Walther