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STUTTGART/ Liederhalle: SWR-SYMPHONIERORCHESTER /Omer Meir-Wellber/ Gil Shaham (Tschaikowsky, Bruckner)

Tanzfrohe Melodien und Bombastisches

14.07.2018 | Konzert/Liederabende

SWR Symphonieorchester unter Omer Meir Wellber am 13. Juli 2018 im Beethovensaal der Liederhalle/STUTTGART

TANZFROHE MELODIEN UND BOMBASTISCHES

Peter Tschaikowskys Violinkonzert in D-Dur op. 35 wurde zunächst abgelehnt. Der gefürchtete Kritiker Eduard Hanslick meinte gar, dass es Musik sei, „die man stinken hört“. Der israelische Geiger Gil Shaham strafte ihn in Stuttgart Lügen, denn er interpretierte dieses Werk mit bravouröser Eleganz und fabelhafter spieltechnischer Geschmeidigkeit. Die virtuos-brillante Einleitung gelang ihm zusammen mit dem Dirigenten Omer Meir Wellber und dem SWR Symphonieorchester mit zupackender Grandezza, deren Intensität nicht nachließ. Die mondänen Sphären der Salons und die überschäumenden Temperamentsausbrüche glückten Shaham gleichermaßen überzeugend, wobei der füllige Klang seines Geigenspiels ohne störendes Vibrato auskam. Auch die Legato-Bögen erreichten eine große Konzentration. Der sich vielfach wechselnde Stimmungsverlauf des ersten Satzes kreiste höchst virtuos um das Thema. Auch die einprägsamen Seitenthemen wurden immer wieder neu und klangfarbenreich beleuchtet. Überwältigende Steigerungen und prunkvolle Episoden führten zu einem rasant-atemlosen Schluss. Träumerisch kam die Andante-Canzonetta daher. Mit wilden Feuerfunken brach das Finale los, bei dem Gil Shaham mit dem Orchester unter Wellber ein grandioses Wettspiel lieferte. Omer Meir Wellber wählte hier ungeheuer rasche Tempi, wie man sie sonst noch nie gehört hat. Die reich variierten beiden Themen konnten sich so bravourös behaupten, unermüdlich sprühten neue funkelnde Farben hervor.

Robust, monumental und noch besser wirkte dann die Wiedergabe der vierten Sinfonie in Es-Dur, der „Romantischen“, von Anton Bruckner in der Fassung von 1878/1880, die ungleich wirkungsvoller wie die Urfassung ist. Omer Meir Wellber übertrieb auch hier das Tempo nicht, sondern hielt das vorzüglich musizierende SWR Symphonieorchester im Gleichgewicht. Die zarten Echo-Rufe des Horns glückten dabei gleich zu Beginn vortrefflich, wobei es zu keinem Abbruch der klanglichen Balance kam. Das Quint-Intervall war so deutlich zu vernehmen. Fortspinnung und Umkehrung blieben im Fluss, im Bass meldete sich wilde Urgewalt. Vogelrufe in den Geigen heizten die Stimmung weiter an, fast brodelnd wirkte das zweite Thema in den Bratschen. Das Schlussmotiv des ersten Themas brachte eine neue Steigerung, der erste Hornruf eröffnete eine vielgliedrige Durchführung. Der Choral der Blechbläser führte schließlich unausweichlich zu einem gewaltigen Coda-Triumph. Das Vorbild Schuberts war dann bei dieser Wiedergabe deutlich im zweiten Satz Andante quasi Allegretto zu erkennen, der sich zu machtvoller Größe sphärenhaft aufschwang. Die in sich gekehrte Bratschenmelodie konnte sich voll entfalten, wurde mit der stockenden Streicherbegleitung zum Doppelthema verschmolzen. Ein energischer Aufschwung in immer weiteren Intervallen sorgte für ein fesselndes Hörerlebnis. Leise Paukenschläge ließen den Satz fast ersterbend ausklingen. Die Jagdhörner des bewegten Scherzos prägten sich tief ein, schufen reizvolle dynamische Kontraste zu gefühlvoll-besinnlichen Tönen. Das Trio mit seiner facettenreichen Harmonierückung und dem gefühlvollen Ländler wurde anmutig musiziert. Das wie von Zyklopenhand gestaltete Hauptthema des Finales hätte sogar noch bombastischer gespielt werden können. Eine große Wucht erfasste plötzlich das gesamte Orchester, das sich im weiteren Verlauf noch steigerte. Die Beziehungen zum ersten Satz blieben im Fünfer-Rhythmus und den Triolen erkennbar. Wellber vermied jede störende Übertreibung. Ein weit ausholendes Posaunenthema wurde aus dem Hornruf geboren und reckte sich ungeheuer drohend empor. Das war hervorragend interpretiert. Die Durchführung lenkte das Hauptthema um, die Reprise fasste sehr deutlich Erinnerungen an den ersten und zweiten Satz zusammen. Hymnisch gestaltete Wellber schließlich die abschließende Coda. Riesenapplaus.

Alexander Walther         

 

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