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STUTTGART/ Liederhalle: SWR SYMPHONIEORCHESTER/Lorenzo Viotti/Gil Shaham

10.02.2018 | Konzert/Liederabende
Gil Shaham (Violine) und das SWR Symphonieorchester im Beethovensaal der Liederhalle
ZWIESPRACHE VON WIND UND MEER
SWR Symphonieorchester unter Lorenzo Viotti am 9.2.2018 im Beethovensaal der Liederhalle/STUTTGART

Unter der impulsiven Leitung von Lorenzo Viotti gestaltete das SWR Symphonieorchester transparent und klangschön Claude Debussys drei sinfonische Skizzen für Orchester „La Mer“ aus dem Jahr 1905. Das Naturerlebnis des Ozeans von der Morgendämmerung bis zum Mittag brach in Urgewalt auf die Zuhörer herein. Sanft wogte anfangs die See, über der dann die Sonne flimmerte und funkelte. Höher stieg das glühende Gestirn empor und goss Fluten von Licht über den weiten Ozean. Fluktuierende Motive und irisierende Klänge vereinigten sich beim „Spiel der Wellen“ zu einem betörenden harmonischen Kosmos mit immer neuen chromatischen Anläufen und kontrapunktischen Finessen. Die Wellen plätscherten an den Strand, Schaum trat hervor, das wogende Element der Rhythmen lief am Ufer aus. Ruhe und glitzernde Bewegung wechselten sich ab. Und mit breiterem Atem strömte die Melodie dann dahin, wobei Lorenzo Viotti das Orchester hier ständig antrieb. Zweimal noch rauschte die Brandung in den Harfen auf, dann wogten die Wasser wieder in ein friedliches Spiel. Und die „Zwiesprache von Wind und Meer“ brachte beide Elemente zusammen, sie raunten sich Geheimnisse zu, die Kräfte entfesselten sich mit- und gegeneinander – von der Brise bis zum Sturm, Wolkenbruch und Gewitter. Ein wahrhaft hymnisch-ekstatischer Gesang beendete dieses Werk bei dieser mitreissenden Wiedergabe.

Der begnadete amerikanische Geiger Gil Shaham spielte dann zusammen mit dem SWR Symphonieorchester unter Lorenzo Viotti das Konzert für Violine und Orchester op. 35 von Erich Wolfgang Korngold, das dieser Alma Mahler-Werfel widmete. Betont spätromantisch sind hier die Kantilenen und Phrasen gestaltet, die Gil Shaham in all ihrer Tiefe und Reife auslotete. So stand die reine Schönheit des Klangbildes immer im Mittelpunkt. Impressionismus und Neoklassizismus waren ab und zu versteckt herauszuhören – auch die Elemente der Filmmusik kamen nicht zu kurz. Und doch kam Korngolds eigene und unverwechselbare Tonsprache in bewegender Weise zur Geltung. Anklänge an den von ihm bewunderten Igor Strawinsky stachen mit forscher Harmonik zuweilen hervor. Dass das Werk mehr als ein „Hollywood-Concerto“ ist, machte Gil Shaham an diesem Abend einmal mehr deutlich. Korngold wollte hier für „das Überleben des melodischen Typs der sinfonischen Musik“ kämpfen. Gerade die collagenhaften Passagen arbeiteten Shaham und das klangschön musizierende SWR Symphonieorchester unter Viotti reizvoll heraus. Von Claude Debussy erklang noch „Clair de lune“ aus „Suite Bergamasque“ bearbeitet für Orchester von Andre Caplet. Debussys Natursymbolik kam im facettenreichen Gewebe der melodischen Terzen hier leuchtkräftig zum Vorschein, wobei die Intervalle strahlend hervorblitzten. Und die harmonische Rückung von Des-Dur nach Fes-Dur erreichte eine ungeahnte Intensität, wobei auch die Sensibilität der Gestaltung zur Geltung kam. Mit raschen Tempi interpretierte Lorenzo Viotti zuletzt zusammen mit dem glänzend disponierten SWR Symphonieorchester „Der Feuervogel“ als Ballettsuite für Orchester in der Fassung von 1919 von Igor Strawinsky. Die Einflüsse Debussys waren bei dieser stürmischen Interpretation genau herauszuhören. Buntschillernde Farbspiele blitzten hervor – und vor allem die thematische Substanz ragte heraus. Kleinste Motivfiguren und russische Weisen vereinigten sich mit aufwühlender Klarheit. Das Intervall der übermäßigen Quart und verminderten Quint erhielt zudem eine ganz besondere Bedeutung. Viotti ließ die dunklen und wie gelähmt schleichenden Klänge im verhexten Garten des Zauberers geheimnisvoll aufleuchten. Wie eine Feuerflamme flatterte der Vogel heran, alles sprühte und funkelte. Mit inständigem Flehen bat der Feuervogel den Prinzen, ihn in Freiheit zu lassen. Auch das zierlich-anmutige Spiel der Prinzessinnen wurde von Viotti und dem SWR Symphonieorchester genau betont. Die zart-innige russische Volksmelodie brach abrupt ab, als König Kastschei mit seinen Dämonen herannahte. Wild entfesselt tobte hier die außer Rand und Band geratene Schar, aufgepeitscht vom vorwärtsstürmenden Rhythmus, dessen Melodiefetzen explodierten. Auch die friedvoll-ruhige Melodie des Wiegenliedes, die an Rimskij-Korssakoff erinnerte, erhielt eine bedeutungsvolle Aura. Eine weihevoll-liturgische Melodie führte in einer dynamisch gewaltig ausufernden Steigerung zum prachtvollen Schluss. Gerade die Veränderung der Taktarten, ungestümen Ostinati und viertönigen Themen arbeitete Viotti mit dem SWR Symphonieorchester glanzvoll heraus. Großer Beifall.
Alexander Walther

 

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