SWR Symphonieorchester unter Pablo Heras-Casado am 12. September 2024 in der Liederhalle/STUTTGART
Beglückende musikaische Schönheiten
Die Sinfonie Nr. 6 in A-Dur von Anton Bruckner ist gelöster, heller und weniger kämpferisch als die übrigen Werke. Stolz bezeichnete er sie selbst als seine „Keckste“. Das Erfrischende und Vitale betonte Pablo Heras-Casado als umsichtiger Dirigent des SWR Symphonieorchesters ganz ausgezeichnet. Bruckner, der die Partitur zwischen 1879 und 1881 schrieb, hat das Werk nie gehört. Es gibt bei der „Sechsten“ nur eine einzige Fassung, was bei Bruckner ungewöhnlich ist. Dabei hat er beglückende musikalische Schönheiten in diese Sinfonie in verschwenderischer Weise einfließen lassen. Richard Wagners „Meistersinger“ waren hier spürbar. Das Kopfthema des „Majestoso“ beeindruckte mit leisem, hartnäckigem Klopfrhythmus der Violinen, der die Bässe inspirierte. Versonnene Ruhe und erhabener Glanz ergänzten sich. Aus lastender Enge schwang sich das milde, innige zweite Thema ins Freie hoch. Tröstend intonierten dann die Hörner die Melodie, bevor markige Trompetenklänge das machtvoll aufrauschende dritte Thema ankündigten. Nur das Kopfthema mit Umkehrungen und verschiedene weitere Rhythmen bestritten hier die knappe Durchführung, die mit strahlender Pracht in die Reprise mündete. Mit weichen Hornklängen und hellen Trompetenstößen endete die Coda in einer erhabenen Lichtflut. Trotz der manchmal fast zu forschen Geschwindigkeit des Tempos konnte sich die rhythmische Kraft gut durchsetzen, Bewegend interpretierte Heras-Casado dann das weihevolle Adagio des zweiten Satzes mit seiner herabfallenden F-Dur-Skala. Die dunkel-satte Streichermelodie erschloss scheinbar unergründliche Geheimnisse. Resignation und Melancholie wurden mit der wunderbar musizierten Intensität des zweiten Streichergesanges überwunden. Im dumpfen Schritt eines Kondukts erklang die schmerzlich-ergebene Trauermarschweise in den Streichern – ehe die beiden anderen Gesänge mit den ausdrucksvollen Farben neuer Klänge die Zuhörer fesselten. Das kunstvolle Scherzo des dritten Satzes entwickelte sich aus einem ungewöhnlichen Thema. Der Elfenspuk huschte in gespenstischer Weise dahin. Die Urkraft brach drohend aus – bis die freundlichen Hörnerfanfaren das Trio in dämmeriger Mondnacht klangfarbenreich illustrierten. Von ferne vernahm man das Hauptthema der fünften Sinfonie Bruckners wie ein Signal. Das poetische Bild verschwand plötzlich im unheimlichen Traumspuk. Mit rasantem Tempo gestaltete Pablo Heras-Casado das Finale mit seinem weit ausholenden Geigenthema. Aus seiner gedrückten Stimmung befreite es sich mit kühner Fanfaren-Antwort. Die Anklänge an den ersten Satz wirkten in den leidenschaftlich gespielten Streichermelodien des zweiten Satzes nach. In Oboen und Klarinetten machte sich das dritte Thema poetisch bemerkbar, das zusammen mit dem Kopfthema den Hauptanteil der Durchführung bestritt. In der Coda triumphierte dann die choralhafte Fanfare, deren Lichtkaskaden an das Hauptthema des ersten Satzes erinnerten. Posaunenpracht beschwor majestätische Größe. Die Qualität dieses zuweilen kritisierten letzten Satzes kam so wunderbar zum Vorschein. Zugleich meldete sich auch deutlich ein Final-Thema aus Bruckners zweiter Sinfonie. Heras-Casado akzentuierte sehr deutlich, dass die häufige Verwendung von Viertel-Triolen den Melodien hier etwas Schwebend-Unwirkliches verliehen. Noch gewaltiger wirkte dann allerdings die grandiose Wiedergabe des berühmten „Te Deum“ für Soli, Chor und Orchester, das Bruckner im Frühjahr 1884 vollendete. Der pompöse Lobgesang auf die Größe Gottes wurde hier zusammengehalten von der eindrucksvoll eröffnenden Streicherfigur, deren Oktavsturz ungeheure Energien freisetzte. In Glanz und Majestät von Trompeten und Posaunen begannen das SWR Vokalensemble sowie der WDR Rundfunkchor das „Te deum laudamus“. Von dieser ehernen Einstimmigkeit hob sich sehr ansprechend das Solistenterzett ab mit den Worten „tibi omnes angeli proclamant“. Mystisch-ergriffene Passagen zeigten sich bei „tu devicto mortis“ und „aperuisti“. Der Lobpreis „Pleni sunt coeli“ erklang in höchster Kraft. Entrückte Sequenzen machten sich bei „Te ergo quaesumus“ bemerkbar. Die Gesangsolisten Christina Landshamer (Sopran), Sophie Harmsen (Alt), Daniel Behle (Tenor) und Franz-Josef Selig (Bass) fügten sich nahtlos in das harmonisch fein ausbalancierte Klangbild ein. Triumphal setzte das „Aeterna fac“ des Chores ein. Das energische Anfangsthema behauptete sich dann fast ultimativ bei der Reprise bei dem begeisterten „per singulos dies benedicimus te“. Lyrische Bögen besaßen Textworte wie „miserere“. Das Finale „In te, domine, speravi“ wurde von einer Fuge gekrönt, die monumental hervorragte. Beim Glaubensbekenntnis „Non confundar in aeternum“ erinnerten die melodischen und harmonischen Linien in der suggestiven Interpretation von Pablo Heras-Casado an die Choralthemen mehrerer Sinfonien Bruckners. Starke Assoziationen gab es bei Heras-Casado auch zu Bruckners siebter Sinfonie. Er betonte das Fantastische dieses Werkes sehr überzeugend. Begeisterter Schlussapplaus.
Als „Nach(t)musik“ war im Beethovensaal im Anschluss noch das „Intermezzo“ für Streichquartett in Es-Dur von Hugo Wolf zu hören. Christian Ostertag und Gabriele Turck (Violine) sowie Paul Pesthy (Viola) und Rahel Krämer (Violoncello) arbeiteten die formalen Zusammenhänge von Sonaten- und Rondosatz hier minuziös heraus. Fünfstimmige Doppelgriffe, dreistimmige Oktavparallelen und Motivfetzen wiesen stark auf die Moderne, wirkten fast revolutionär. Leidenschaftlich bewegt zeigte sich dieser Musizierstil, der die Zuhörer ungemein fesselte.
Alexander Walther