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STUTTGART/ Liederhalle: SWR SYMPHONIEORCHESTER unter Currentzis (Crumb, Mahler)

22.02.2019 | Konzert/Liederabende

SWR Symphonieorchester mit Crumb und Mahler am 22. Februar 2019 im Beethovensaal der Liederhalle/STUTTGART

SCHMERZLICHER VERLUST DER KINDHEIT

„Ancient Voices of Children“ als Liederzyklus nach Texten von Federico Garcia Lorca für Mezzosopran, Knabensopran und Kammersensemble  von George Crumb legt surrealistische Momente und Tiefenschichten offen. Ausdrucksformen des Unbewussten werden hier harmonisch vielschichtig umgesetzt. Sophia Burgos (Sopran), Johannes Rempp (Knabensopran), Philippe Tondre (Oboe), Denise Wambsganß (Mandoline), Renie Yamahata (Harfe), Jochen Schorer (Schlagzeug und Singende Säge), Franz Lang (Schlagzeug und Pauke), Markus Maier (Schlagzeug), Christoph Grund (elektrisches Klavier und Spielzeugklavier), SWR Experimentalstudio und elektronische Realisation, Michael Acker (Klangregie) sorgten unter der Leitung von Teodor Currentzis für einen elektrisierend-spannungsvollen Klangstrom, dessen Intensität ständig zunahm. Die Sopranistin verschmolz bei der subtilen Wiedergabe regelrecht mit dem Flügel, überzeugte mit atemlosen Staccato-Passagen oder dynamisch differenzierter Melodik. Gelegentlich hörte man bei der Wiedergabe auch buddhistische Rituale heraus. Manches rhythmische Element erinnerte an den „Bolero“ von Maurice Ravel, andere Passagen gemahnten sogar an Gustav Mahlers „Lied von der Erde“. Die Offenheit der Klänge verblüffte hier unter der sensiblen Leitung von Teodor Currentzis, der die geheimnisvoll-sphärenhaften Ströme dieser Musik bei den einzelnen Liedern „Das Kind sucht seine Stimme“, „Ich habe mich oftmals im Meer verirrt“, „Woher kommst du, Geliebtes, mein Kind?“, „An jedem Nachmittag in Granada, an jedem Nachmittag stirbt ein Kind“ und „Mit Lichtern gefüllt hat sich mein seidenes Herz“ suggestiv herausarbeitete. Die kleine Passage aus dem „Notenbüchlein für Anna Magdalena Bach“ ging ebenfalls unter die Haut. Die Klage über den schmerzlichen Verlust der Kindheit prägte auch die Interpretation des Knabensoprans. Anschließend interpretierte Teodor Currentzis wunderbar ausgewogen und durchhörbar die eigentlich von Joseph Haydn inspirierte Sinfonie Nr. 4 G-Dur für großes Orchester mit Sopran-Solo von Gustav Mahler. Sie wurde im Jahr 1900 vollendet. Fehlender Pessimismus verleugnete bei dieser gelungenen Wiedergabe aber keineswegs das ergreifende pathetische Ringen. Das Schwelgen im Streicherklang war einer der großen und beglückenden Vorzüge dieser Aufführung, deren Liebe zum Detail ganz besonders positiv auffiel. Bedächtig erfolgte hier die langsame Reise zum „Himmel“. Mit Vogelruf und Schellengeläut tat sich eine heitere Welt auf. Das Hauptthema beschwor den heiteren Geist Wiens. Das forsche Wanderlied zeigte dabei ebenfalls viele Klangfarben und Facetten. Das zweite Thema breitete sich in den Bratschen wirklich schwärmerisch aus. Da hatte Currentzis seine Musiker ganz im Griff. Seitenthemen meldeten sich hier in reicher Fülle, das Formschema des Sonatensatzes blieb immer erkennbar. Beim Scherzo „Freund Hein spielt auf“ wurde die Solovioline in unheimlicher Weise zur Fiedel des Todes, fahle Klänge beschworen diesen seltsamen Totentanz. Das ruhevolle Adagio öffnete dann in bewegender Weise die unendlichen Pforten des Paradieses – und das SWR Symphonieorchester beschwor unter Teodor Currentzis aber auch Leid und Schmerz. Blendende Lichtfülle und ungeheure orchestrale Aufschwünge vermochte Teodor Currentzis in mitreissender Weise zu bündeln, der unbeschreibliche Jubel entschwand hinter zarten Nebelschleiern. Da musizierte das SWR Symphonieorchester in ausgezeichneter Weise, ließ selbst Intonationsschwankungen der Blech- und Holzbläser vergessen. Der Sopranistin Christina Gansch gelang es vorzüglich, die Glückseligkeiten des Paradieses mit voluminöser Fülle zu beschwören. Manches erinnerte auch an Mahlers dritte Sinfonie. Vor allem den zarten Ausklang traf Currentzis exzellent, wo „elftausend Jungfrauen zu tanzen sich trauen“. 

Alexander Walther

 

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