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STUTTGART/ Liederhalle: SWR-SYMPHONIEORCHESTER/ David Zinman / Gil Shaham – mit brodelnder Dynamik

22.09.2017 | Konzert/Liederabende

 Brahms und Bruckner mit dem SWR Symphonieorchester in der Stuttgarter Liederhalle am21.9.2017

MIT BRODELNDER DYNAMIK

David Zinman dirigiert Brahms und Bruckner mit dem SWR Symphonieorchester in der Liederhalle/STUTTGART

Die beiden großen Antipoden Johannes Brahms und Anton Bruckner im Konzertsaal aufzuführen, ist heutzutage kein Wagnis mehr. Gegensätze ziehen sich an. So war es jedenfalls beim mit viel Publikumsbeifall aufgenommenen ersten Abonnementkonzert unter der präzisen Leitung des aus New York stammenden David Zinman. Der in den USA geborene Geiger Gil Shaham war der feinnervig musizierende Solist im dezent gespielten Konzert für Violine und Orchester in D-Dur von Johannes Brahms op. 77. Anklänge an die zweite Sinfonie von Brahms sind hier unüberhörbar, was auch bei der Wiedergabe durch Gil Shaham und das SWR Symphonieorchester unter David Zinman deutlich zu hören war. Beim Hauptthema Allegro non troppo stach einmal mehr die Nähe zu Beethovens Violinkonzert hervor, der D-Dur-Dreiklang besaß hier Leuchtkraft und intensives Feuer. Gil Shaham agierte mit konzentriertem Bogenstrich. Die Ausdrucksfülle steigerte sich auch in den Seitenthemen mit zunehmender Intensität. Die Improvisationen des Violinsolisten besaßen eine sphärenhafte Leichtigkeit und Noblesse – auch die Nähe zur dritten Sinfonie von Brahms stach beim Hauptthema hervor. Bei der Durchführung zeigten sich die zahlreichen spieltechnischen Vorzüge des SWR Symphonieorchesters, das unter der einfühlsamen Leitung von David Zinman klangschön und intonationssicher spielte. Und die schlichte Melodie des zweiten Adagio-Satzes traf Gil Shaham mit bewegender Ausdruckskraft, die nicht nachließ. Obwohl sich drängende Unruhe im Mittelteil breitmachte, strömten die Harmonien insgesamt in fließend-friedvoller Ruhe dahin. Ungezügeltes Temperament beherrschte zuletzt das Schluss-Rondo, dessen rasante Virtuosität Gil Shaham jedoch stilsicher einfing. Als Zugabe war noch ein Violin-Solostück von Johann Sebastian Bach zu hören.

In der Fassung von 1889 erklang anschließend Anton Bruckners dritte Sinfonie in d-Moll, die dieser seinem großen Idol Richard Wagner gewidmet hat. Frömmigkeit und vor allem Naturfreude lebten in dieser gelungenen Interpretation von David Zinman und dem SWR Symphonieorchester auf, Schubert und Mahler ließen ebenfalls grüßen. Und die Anklänge aus den Wagner-Opern „Walküre“, „Tristan und Isolde“ und „Tannhäuser“ meldeten sich mit feinsinniger Akribie. Das Trompetenthema des ersten Satzes besaß mit seinen weiten Intervallen Feinschliff und Energie. Nach den Triolen behauptete sich das zweite Thema mit überschwänglicher Bewegung. Mit dem Fünfer-Rhythmus des dritten Themas überzeugte dann auch die E-Dur-Wiederkehr des Kopfthemas in der Umkehrung. Und bei der grandios abstürzenden Coda agierten Orchester und Dirigent mit brodelnder Dynamik. Bruckner-Wogen überwältigten die Zuhörer auch beim zweiten Adagio-Satz, dessen Gliederung in mehrere Episoden gut herausgearbeitet wurde. Das erste Thema wirkte fast schon klassisch. Die Melodie der Bratschen erinnerte wiederum stark an Wagner. Und die freie Umformung des ersten Themas durch die Streicher ließ die Thematik in leuchtkräftiger Schönheit erstrahlen. Es war eine Strahlkraft, die sich bei der einen oder anderen Passage sogar noch hätte steigern können. Ländlich und derb kam dann das Scherzo daher, dessen versteckt-humorvolle Ironie David Zinman mit dem SWR Symphonieorchester aufwühlend einfing. Die Töne d und a beherrschten hier ganz deutlich Struktur und Ablauf der Musizierweise, wobei sich das Trompeten-Motiv des ersten Satzes mit ungestümer Kraft meldete. Walzermelodien und markante Gegenstimmen der Holzbläser schufen reizvoll gestaltete dynamische Kontraste. Und nicht ohne Schwung führte die Bratsche das Trio an. Zum Höhepunkt geriet allerdings das monumentale Finale, dessen großräumige Flächen und wilden Rhythmen von David Zinman und dem fieberhaft musizierenden Orchester mit schnellen Tempi eingefangen wurden. Die fast tanzende Melodie in den Streichern und der Choral der Hörner beschworen eine seltsam-magische Stimmung. Humor und Frohsinn sowie Trauer standen dabei dicht beieinander. Das dritte Thema eröffnete bei dieser Wiedergabe dann gewaltige orchestrale Auseinandersetzungen, die sich immer weiter zuspitzten. Das Choralthema wurde  von den Celli leidenschaftlich aufgegriffen und in den breiten Choral überführt, wo das Trompetenthema nochmals machtvoll aufblitzte. Das Dämonische und Abgründige kam bei dieser Interpretation nicht zu kurz, hätte bei der einen oder anderen Passage aber sogar noch gesteigert werden können. Der abschließende D-Dur-Jubel ließ jedenfalls nicht nach. Begeisterter Schlussbeifall. 

Alexander Walther

 

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