SWR Symphonieorchester unter Sir Roger Norrington am 9. März 2018 im Beethovensaal der Liederhalle/STUTTGART
ZUPACKEND UND AUFWÜHLEND ZUGLEICH
Die Konzertouvertüre „Con brio“ für Orchester von Jörg Widmann greift das Genre der Konzertouvertüre wieder auf, das in unserer Zeit ja vernachlässigt wird. Sir Roger Norrington begriff dieses Werk zusammen mit dem SWR Symphonieorchester als schnelle Ouvertüre, bei der auf die langsame Einleitung verzichtet wird. Der Ankündigungs- und Appellcharakter ging nicht verloren, ebensowenig vermisste man Anklänge an Beethovens Sinfonien. Direkte Bezüge zu Beethoven zeigen sich bei diesem aufwühlenden Werk allerdings nur in rhythmischer Hinsicht, der Orchestersatz wirkt hier oftmals zerklüftet. Gesunde und skelettierte Blöcke scheinen sich dabei gegenüberzustehen, der Pauker muss sein Instrument mehrfach umstimmen. So ergab sich eine mitreissende Interpretation.
Der vielfach preisgekrönte Pianist Francesco Piemontesi interpretierte dann zusammen mit Norrington und dem SWR Symphonieorchester Ludwig van Beethovens Konzert für Klavier und Orchester Nr. 3 c-Moll op. 37. Dabei ergab sich eine ungewöhnliche Konstellation, denn der Dirigent saß mitten im Orchester. Die sehr persönliche musikalische Aussage trat so deutlich hervor. Diese erstaunliche Ausdruckskraft wurde durch den bewussten Gegensatz von Orchester und Soloinstrument sogar noch gesteigert. Die anspruchsvolle symphonische Themenverarbeitung wurde bei dieser Interpretation genau durchleuchtet. Auch das Formschema der drei Sätze mit Sonatenform, Liedform und Rondoform trat so deutlich hervor. Das Hauptthema des Allegro con brio mit seiner straffen Form ließ aufhorchen, dies galt auch für das anschmiegsame Seitenthema. Die kühne Auseinandersetzung der beiden Themen in der Durchführung stach deutlich hervor. Auch die träumerische Stimmung des Largo erfasste Piemontesi mit Sensibilität und poetischem Zauber. Übermütig wirkte dann das Rondothema des Schluss-Allegros. Wie ein Fangball spielten sich Solist und Orchester hier das Thema zu. Entlegene Tonarten und rhythmische Verästelungen fielen besonders auf.
Zum Abschluss interpretierte Sir Roger Norrington dann zupackend und forsch die Sinfonie Nr. 3 Es-Dur op. 55 „Eroica“ von Ludwig van Beethoven. Beethoven zerriss bekanntlich das Widmungsblatt für Napoleon, von dem er sich getäuscht sah. Den kämpferischen Aspekt dieses Werkes betonte Norrington mit nie nachlassender Akribie. Statt der langsamen Einleitung rissen die beiden wuchtigen Akkordschläge die Zuhörer aus sämtlichen Träumen – und in den Celli ertönte intensiv leise das Hauptthema des Allegro con brio im Es-Dur-Dreiklang. Drängend fingen die Violinen bei dieser Wiedergabe seinen Schwung auf und brachten es mit sanfter Gewalt zurück. Die Akzente verschoben sich, wurden heftiger, dynamische Kontraste wurden von Norrington und dem SWR Symphonieorchester ohne Legato-Bögen ausgereizt. In ganzer Größe kehrte das Thema wieder. Beinahe spielerisch antwortete das zarte Seitenthema in den Holzbläsern und Geigen. Wieder versuchte ein Seitengedanke (den die Streicher von den Holzbläsern übernahmen) beschwichtigend einzugreifen, wobei sich das Hauptthema schließlich leidenschaftlich durchsetzte. Der Durchführungsteil war von immer heftigerer Leidenschaft geprägt. Er verkürzte sich in schlagkräftigen Akzentuierungen. Den dissonanten Akkorden folgte die schwärmerische Holzbläser-Melodie. Als ernste Totenklage hob dann der Trauermarsch des zweiten Satzes an, nur im mittleren Dur-Teil war von starrem Schmerz nichts zu spüren. Wie in unterdrückter Ausgelassenheit huschte das Scherzo atemlos vorüber. Und ein weiterer akustischer Höhepunkt war die Wiedergabe der sieben Variationen des Finales, das zunächst mit seinem Bass-Fundament erschien. Bei der dritten Variation brachten die Holzbläser die schmeichlerische Oberstimme des Themas mit nach oben gestrichenen Noten. Die Strenge des Fugensatzes schimmerte beim Schluss-Presto mit kunstvollen Veränderungen durch. Sir Roger Norrington arbeitete die Anatomie von Beethovens Harmonik ohne den Schönklang Karajans beispielhaft heraus. Jubel.
Alexander Walther