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STUTTGART/ Liederhalle: ROMEO ET JULIETTE von Berlioz mit dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR

23.07.2016 | Oper

STUTTGART/ Liederhalle: „Romeo et Juliette“ von Berlioz mit dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR in der Liederhalle Stuttgart

HEFTIGE EMOTIONEN ZUM ABSCHIED

Konzert des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart des SWR am 22. Juli 2016 in der Liederhalle/STUTTGART

Es war ein denkwürdiger Abend – denn es war das letzte Konzert des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart des SWR in der alten Formation – in Zukunft heißt es dann nur noch SWR Symphonieorchester mit mehr Gastdirigenten. Der bisherige Chefdirigent Stephane Deneve wurde an diesem Abend verabschiedet. Er setzt seine Karriere in Brüssel fort. Auf dem Programm stand Hector Berlioz‘ „Romeo et Juliette“ als dramatische Sinfonie in drei Teilen für Soli, Chor und Orchester op. 17 mit dem exzellenten SWR Vokalensemble Stuttgart, dem NDR Chor und den Herren der EuropaChorAkademie sowie den vorzüglichen Gesangssolisten Clementine Margaine (Mezzosopran), Loic Felix (Tenor) und Laurent Naouri (Bassbariton). Sie passten sich dem Duktus der Chöre in bemerkenswerter Weise an. Vor allem die Crescendo-Steigerungen wurden vorzüglich herausgearbeitet. Berlioz gastierte übrigens mit diesem Werk im Jahre 1842 auch in Stuttgart. In der Kampf-Fuge behaupteten sich die Streicher des Radio-Symphonieorchesters Stuttgart des SWR in imposanter Weise, eine fulminante Posaune verkörperte den Fürsten von Verona. Julia wurde in einfühlsamer Art von der Oboe charakterisiert. Die melodischen Schönheiten dieser erstaunlich modernen Partitur kamen dabei voll zum Vorschein. Die menschliche Stimme meldete sich rhythmisch ungewöhnlich mit Flöte, Piccolo, Viola und Celli. Auch die Feenkönigin beschenkte die Menschen einfühlsam mit ihren Träumen.

Die von Bruder Lorenzo (hervorragend: Laurent Naouri) sehr emotional gesungenen Ermahnungen an die verfeindeten Familien kamen zusammen mit dem ausgezeichneten Chor-Rezitativ sehr gut zur Wirkung. Die acht Nummern dieses Werkes besaßen in Stephane Deneves intelligenter Wiedergabe jedenfalls einen geheimnisvollen inneren Zusammenhang, dessen Intensität immer mehr zunahm. Vor allem die langsame Einleitung des „Fests bei Capulet“ beeindruckte als schwermütige Seelenstimmung voll innerem Ausdruckszauber und melancholischer Aura. Es war reizvoll, wie die ferne Festmusik zu dem schwermütigen Romeo herschallte. Das Hauptthema konnte sich jedenfalls voll entfalten. Das ausdrucksvolle Gesangsthema setzte sich in bemerkenswerter Weise durch. Mit Streichertremoli und Paukenwirbel behauptete sich die Erregung Romeos, als starker Kontrast antwortete Julia zart in der Oboe – von Cello-Arpeggien wirkungsvoll begleitet. Das Allegro gefiel als rasanter Tanzsatz. Julias Thema überstrahlte in den Hörnern die Tanzrhythmen und wurde vom dunklen Grund der Cello-Sequenzen wirkungsvoll beleuchtet. Beim Betreten des Palazzos der feindlichen Familie strahlte das ritterliche Allegro-Thema Romeos auf. Ein Seitenthema beschrieb neue, auftauchende Gruppen. Die „Liebesszene“ galt Berlioz selbst als das Schönste, was er je geschrieben hatte. Horn und Celli korrespondierten in reizvoller Weise mit Julias Liebesmelodie.

Nach dem Höhepunkt des Allegro nahm die Coda wahrhaft bedrohlich-dämonischen Charakter an, der sich immer mehr zuspitzte. Das Scherzo „Queen Mab, die Fee der Träume“ gelang Stephane Deneve zusammen mit dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR besonders gut. Im Prestissimowirbel des Hauptteils schwelgte das Orchester, wobei die Elfenkönigin hier ihre sphärenhaften Zaubernetze legte. Flageolett-Töne der Geigen und Harfen nahmen die Zuhörer hier heftig gefangen. Leidenschaftlich erklangen auch Flöte und Englischhorn. Vor allem die Schlagzeugeffekte blieben mit krachendem Staccato dynamisch eindringlich im Gedächtnis. Romantisches Farbgefühl beherrschte nicht nur die Liebesszene, sondern auch die „Fee Mab“. Rasseln des Schlagzeugs begleiteten die Kobolde aus dem „Sommernachtstraum“ hier erfrischend. Fast verwirrend sprühten die Klangfarben auf. Es war ein flimmerndes Huschen und eine atemlose Jagd mit hingetupftem Rhythmus. Berlioz‘ sehr modern wirkende Charakterisierungskunst kennzeichnete nicht nur den reifen Stil der Gesangssolisten, sondern auch das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR. Mit erstaunlicher klanglicher Durchsichtigkeit wurde dabei immer wieder musiziert. Das Gefühl heftiger Emotion könnte hier sogar noch gesteigert werden. Zuweilen erkannte man in manchen Intervallen in Berlioz den wahren Vater der neuen Musik. Ein Blumenmeer begleitete den Abschied dieses Orchesters nach 70 Jahren Musikgeschichte. Als Zugabe war noch das Finale aus Maurice Ravels Orchesterstück „Ma mere l’Oye“ sehr bewegend zu hören. „Der Feengarten“ entfaltete seinen geheimnisvollen Zauber.

Alexander Walther

 

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