Internationale Bach-Akademie: Werke von Verdi und Puccini am 23.4.2023 im Beethovensaal der Liederhalle/STUTTGART
Reife und Tiefe des Ausdrucks
Gaechinger Cantorey. Copyright: Cantorey
Natürlich war Giacomo Puccini ein Lebemann, der in seiner frühen „Messa a 4 voci con orchestra“ opernhafte Elemente verarbeitete. Hans-Christoph Rademann vermied es jedoch als umsichtiger Dirigent, diese besondere Tatsache zu betonen. Er arbeitete mit dem Chor der Gaechinger Cantorey, dem Dresdner Kammerchor und den Stuttgarter Philharmonikern die leidenschaftlichen Schönheiten und chromatischen Finessen dieser Musik nuanciert heraus. Die beiden gut aufeinander abgestimmten Gesangssolisten Sung min Song (Tenor) und Kresimir Strazanac (Bass) wechselten sich vor allem beim erfrischend gestalteten „Gloria“ mit dem Chor in feinen dynamischen Kontrasten ab. In den Unisono-Passagen des Chores zeigten sich überwältigende Kantilenen. Auch das Streicher-Nachspiel zum Chorsatz „Confiteor unum baptisma“ erreichte eine starke Intensität des Ausdrucks. Selbst die lyrischen Passagen besaßen hier nie etwas Sentimentales. Der Sextaufschwung des „Qui tollis“ und die fast folkloristische Melodik stellte Rademann mit dem Ensemble eher dezent heraus. Das Kyrie mit seinen Reminiszenen an Puccinis Oper „Edgar“ sowie das „Agnus Dei“ mit den Assoziationen zum Tanz-Madrigal im zweiten Akt der Puccini-Oper „Manon Lescaut“ zeigten bei dieser Wiedergabe einen erstaunlichen Klangfarbenreichtum. Einen großartigen Eindruck gewann man bei diesem Abonnementskonzert auch von Giuseppe Verdis Alterswerk „Quattro pezzi sacri“, dessen Modernität bei deser Wiedergabe immer wieder verblüffte. Der Chor der Gaechinger Cantorey, der Dresdner Kammerchor und die Stuttgarter Philharmoniker wuchsen hier ganz zusammen. Beim chorisch besetzten „Ave Maria“ überraschten wiederum die chromatischen Feinheiten, die sich hier immer mehr verdichteten. Das andere a-cappella-Werk „Laudi alla Vergine Maria“ mit einem Auszug aus Dantes „Divina Commedia“ besaß ebenfalls einen bewegenden Duktus.
Zum Abschluss gewann Hans-Christoph Rademann zusammen mit dem Ensemble und der Gesangssolistin Natasha Schnur (Sopran) dem „Te Deum“ eine starke Reife und Tiefe des Ausdrucks ab. Anklänge an Verdis „Requiem“ waren dabei unüberhörbar. Der Cantus firmus sowie der gregorianische Choral waren deutlich herauszuhören. Im motettenartigen zweiten Stück „Stabat mater“ kam der Schmerz der Gottesmutter mit der Solistin Justina Vaitkute (Alt) ausdrucksstark zum Vorschein. Anklänge an Palestrina, Pergolesi und Rossini machten sich hier in geheimnisvoller Weise bemerkbar. Hans-Christoph Rademann unterstrich bei seinem klugen Dirigat, dass diese „Vier geistlichen Stücke“ in ihrem weltabgewandten Ernst auf alles Äusserliche verzichten, um das religiöse Erlebnis gültig und eindrucksvoll in Tönen zu beschwören. Die Nähe zur Verdi-Oper „Falstaff“ minderte die Wirkung keineswegs. Der Stil des Requiems wurde hier zu einer entrückten Klarheit verfeinert. Das „Te Deum“ weicht ab von den üblichen Vertonungen des Ambrosianischen Lobgesangs. In der Interpretation Rademanns war es von starker innerer Spannung erfüllt. „Bravo“-Rufe, tosender Applaus.
Alexander Walther