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STUTTGART / Liederhalle: „PARSIFAL 2.Akt + Mahlers „TODTENFEIER“ Philharmoniker-Konzert. Gedenken an Gerd Grochowski und eine verlockende Kundry

25.04.2017 | Konzert/Liederabende

Stuttgart

„PARSIFAL 2.Akt + Mahlers „TODTENFEIER“ Philharmoniker-Konzert 24.4.2017 (Liederhalle) – Gedenken an Gerd Grochowski und eine verlockende Kundry

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Ein würdiges Ensemble: Dan Ettinger, Jürgen Linn, Edna Prochnik und Peter Seiffert (v.l.). Copyright: Stuttgarter Philharmoniker

Die Stuttgarter Philharmoniker mussten das Programm dieses Konzertes nicht ändern, um des ursprünglich für die Partie des Klingsor vorgesehenen Gerd Grochowski zu gedenken, der im Januar völlig unerwartet nach einer Premiere als Wotan in Wiesbaden verstorben ist – denn zufällig war für den ersten Teil des Abends Mahlers Urfassung des Ersten Satzes seiner Auferstehungssinfonie angesetzt. Die nach einem polnischen Dramenzyklus von Adam Mickiewicz „Todtenfeier“  benannte, wie eine große symphonische Dichtung in sich wirkende Schöpfung, in der der Komponist viel selbst Erlebtes verarbeitet hatte, bot den stimmigen Rahmen zwischen bannendem Monument und feierlichem Versenken. Zumal Chefdirigent Dan Ettinger das Orchester zu intensiver Verknüpfung von forschem Zugriff und dynamischem Ausreizen zarter Phasen anstachelte.

Diese enormen Kontrastwirkungen dürften ein Markenzeichen des Musikers sein, denn sie bestimmten auch die konzertante Wiedergabe des zweiten Aktes von Wagners „PARSIFAL“. Ob es die einleitende Stimmungs-Schilderung von Klingsors Zauberreich, die sich immer mehr steigernde Verlockungs-Strategie Kundrys oder Parsifals Hellsichtigkeit ist – Ettinger hält die Philharmoniker unter dem ununterbrochenen Strom eines Wechselspiels aus  zarten und satten Farben und lässt das spätromantische Geflecht Wagners wo legitim gewaltig aufrauschen, aber auch transparent entfalten, um die Vokalisten nicht in Bedrängnis zu bringen.  Diese bedurften allerdings auch keiner besonderen Rücksichtnahme und Schonung, schöpften sie doch in unverleugbar  bester Verfassung aus dem Vollen. Peter Seifferts Tenor hat an solchen Abenden einen bewundernswert frischen Klang und Impetus, der nie an einen doch schon reiferen Sänger denken lässt, der er mit seiner langen Karriere und Erfahrung mittlerweile doch ist. Da verwischen bei ihm auch die Grenzen zwischen dem Lyriker und Dramatiker, die er beide so bruchlos in Übereinstimmung bringt, dass seine Stimme einfach als kraftvoll flexibel, aber nicht konkret als solche heldischen Charakters erscheint. Und so konnte er den Parsifal vom Einstieg nach der  (im vorhinein für nicht machbar erachteten) Streichung der Blumenmädchen-Szene über den schmerzvollen Ausbruch nach Kundrys Kuss bis zum vernichtenden Streich gegen Klingsor ohne jegliche Einbusse an klanglicher und gestalterischer Intensität in jedem Moment zuverlässig ausfüllen. Nur eine gewisse Spontaneität blieb er aufgrund seines erstaunlich oft am Notenpult klebenden Einsatzes schuldig – da hatte die Kundry der allein schon als Erscheinung idealen Edna Prochnik doch die Nase vorne. Bereits ihr Auftritt auf der steilen Chor-Empore mit den Klagetönen erzeugte eine magische Stimmung, die sie auch im weiteren Verlauf durch ihren sehr pointierten, genussvoll mit den Worten spielenden Mezzosopran aufrecht zu erhalten wusste. Das sehr individuelle Timbre zwischen satt dunklen  Tiefen, sinnlicher Mittellage und erstaunlich hellen, bis zum „Geleit“ stabilen Höhen trug weiters dazu bei, dass der zentrale Blick der Aufführung an ihr hängen blieb. Nicht zuletzt, weil sie so gut wie ohne kontrollierende Noten-Stütze frei agierte und das Konzert-Podium zur Bühne machte.

Die Stelle des zuerst eingeplanten Gerd Grochowski übernahm Jürgen Linn mit einem passend wettergegerbten Bass-Bariton, der phasenweise etwas trockene Züge annimmt, doch z.B. in die Herbeibeschwörung Kundrys so viel bedrohliche Expressivität legt, dass sich Gänsehaut einstellt. Seine charakterdarstellerischen Fähigkeiten werden auch im konzertanten Rahmen spürbar.

Mit einem solchen Protagonisten-Terzett in dieser angetretenen Verfassung könnte sich jedes Opernhaus glücklich schätzen – die Stuttgarter Philharmoniker und ihr Publikum durften es wenigstens für einen Abend und dankten dafür mit begeisterten Ovationen.

 Udo Klebes

 

 

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