„Canto General“ von Mikis Theodorakis am 22. 6. 2025 im Beethovensaal der Liederhalle/STUTTGART
Grosse dynamische Spannweite
Der griechische Komponist Mikis Theodorakis wäre am 29. Juli dieses Jahres 100 Jahre alt geworden. Seine Komposition „Canto General“ wurde ein Jahr nach dem Ende der Athener Militärjunta im August 1975 in Griechenland uraufgeführt. Das Werk ist nach Texten des chilenischen Schriftstellers Pablo Neruda entstanden. „Canto General“ bedeutet „Allgemeiner Gesang“. Theodorakis und Neruda haben hier das gleiche Ziel – neue Inhalte verständlich zu gestalten. Die Botschaft ist der Ruf nach Selbstbestimmung, Freiheit und Unabhängigkeit der Völker. Das Werk ist auch eine Hymne auf die Geschichte, die Landschaft und die Menschen Lateinamerikas. Dies wurde bei der hervorragenden Interpretation mit dem fulminanten Chor der Gaechinger Cantorey, einem Instrumentalensemble und den Solisten Julia Böhme (Alt) und Daniel Ochoa (Bariton) unter der Leitung von Hans-Christoph Rademann deutlich. Theodorakis sei ein großes Vorbild für viele Menschen gewesen, so Rademann. „Er war ein Kämpfer für die Freiheit, wurde gefoltert, aber nicht gebrochen“, sagte Rademann weiter. Seine Bewunderung für ihn reiche bis in die Schulzeit zurück. „Canto General“ enthält einen gemischten Chor, zwei Solo-Vokalstimmen (Mezzosopran und Bassbariton) und ein Volksorchester, bestehend aus drei Bouzikia (Buzuki), zwei Klavieren, drei Gitarren, E-Bass, einer Kesselpauke und Percussion in fünffacher Besetzung. Das Schlagwerk besteht aus 26 unterschiedlichen Instrumenten. Dementsprechend gewaltig war die Wirkung im Beethovensaal. Ostinati, Taktwechsel, kurze Motive und lyrische Sequenzen verkündeten hier in ergreifender Weise die Liebe zum Leben sowie die Verachtung und Bedrohung des Lebens. Das Symbol für Menschenliebe und Menschenwürde gewann dabei eine starke Intensität und vokale Ausdruckskraft. Die eingängigen Melodien beschrieben sehr bewegend die Welt der Tiere. Und auch einzelne Sätze wie „Ich werde leben“ und „Die Befreier“ waren von vitaler Kraft erfüllt. „An meine Partei“, „Lautaro“ sowie „Die Vögel erscheinen“ verdeutlichten in den Alt- und Baritonpartien eine große dynamische Spannweite. Aber auch die harmonische Vielschichtigkeit bei einzelnen Nummern wie „Requiem für Neruda“, „Pflanzenreiche“ und „Amerikaliebe“ war verblüffend. Den stärksten Eindruck hinterließ das letzte Stück „Aufständisches Amerika“ – und dies nicht nur wegen seiner Aktualität: „Wie eine Pflugschar hart war die Wahrheit.“ Hier sangen Julia Böhme und Daniel Ochoa nochmals mit großer Intensität zusammen. Im neunten Satz „Die United Fruit Co.“ machte sich sogar der abgewandelte Stil der Opera buffa bemerkbar. So war der stilistische Reichtum bei dieser gelungenen Aufführung verblüffend. Theodorakis beginnt „Canto General“ mit „Algunas bestias“. Gemeint ist vor allem die Bedrohung durch die Anaconda, die würgende Riesenschlange – ein Symbol für wirtschaftliche Ausbeutung. Im „Canto“ verbindet sich byzantinische Melodik mit Latino-Elementen.
Riesenapplaus und Jubel im Beethovensaal.
Alexander Walthe