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STUTTGART/ Liederhalle: L’ENFACE DU CHRIST von Hector Berlioz mit der Gaechinger Cantorey

12.12.2022 | Konzert/Liederabende

„L’Enfance du Christ“ von Hector Berlioz am 11.12.2022 mit der Gaechinger Cantorey in der Liederhalle/STUTTGART

Melodie des Herzens

Das Weihnachtsoratorium wird hier einmal anders erzählt. Jesus ist bereits geboren und König Herodes wälzt sich unruhig im Schlaf. Ein neugeborenes Kind bedroht seine Macht. Die Grundlage zum berüchtigten Kindermord von Bethlehem ist gelegt. Ein Engelschor rät der heiligen Familie, die idyllische Hirtenszenerie in Bethlehem zu verlassen und nach Ägypten zu reisen. Die Flucht, die Ankunft und das bescheidene, glückliche Leben dort stehen im Mittelpunkt der beiden folgenden Teile. Hector Berlioz schrieb hier ein geistliches Oratorium mit betont opernhaften Zügen. Zum Schluss wird zur Demut vor dem Wunder aufgerufen.

Gerade das Ende dieses Werkes ist ungemein berührend. Das Libretto verfasste Berlioz auf der Grundlage des Neuen Testaments. Die farbenfrohe Orchestermusik mit den vielen filigranen Flötenpassagen ist ganz ungewöhnlich für Berlioz, was Hans-Christoph Rademann mit der Gaechinger Cantorey und dem Orchestre Philharmonique du Luxembourg  einfühlsam herausarbeitet. So steht die für Berlioz ungewöhnliche Melodie des Herzens immer wieder im Mittelpunkt. Leidenschaft im Ausdruck, rhythmische Energie und unerwartete Wendungen bringen das harmonische Geschehen dabei auf den Punkt. Natürlich ist Berlioz auch für Rademann ein Romantiker. Bei „L’Enfance du Christ“ fällt auch eine erstaunliche Nähe zu Franz Liszt auf. Jedem Instrument und auch dem Chor werden klangliche Eigenheiten abgelauscht, das Farbenspiel des Klanges steht immer wieder im Zentrum. Davon profitieren auch die Sänger Letitia Scherrer (Sopran, Maria), Maximilian Schmitt (Tenor, Erzähler), Matthias Winckhler (Bass, Joseph) und Markus Eiche (Bass, Herodes und Hausvater), Andras Adamik (Tenor, ein Zenturio) und Timo Hannig (Bass, Polydorus). Sie werden vom vorzüglich musizierenden Orchestre Philharmonique du Luxembourg behutsam ins klangliche Geschehen eingebettet. Die neuartigen Spieleffekte der Instrumente (insbesondere der Flöten und Bläser), die kunstvolle Behandlung von Fugentechniken und modalen Einfärbungen runden dieses Klangwunder ab. Der Sprachschatz des hochdifferenzierten Orchesters korrespondiert mit der erhabenen Reife eines Alterswerks. Berlioz liebt eben nicht nur das Grell-Fantastische, sondern auch Sphärenhaft-Idyllisches. Die Welt von Berlioz‘ „Requiem“ und „Tedeum“ ist ganz entfernt zu spüren. Und Hans-Christoph Rademann gelingt es, die harmonischen Vorzüge dieser Komposition eindringlich herauszuarbeiten. Auch der geradezu filmische Übergang vom Zorn des Königs Herodes zum Frieden des Stalls in Bethlehem gelingen sehr gut. Sehr markant wird auch die Fuge herausgearbeitet, die wirkungsvoll den Marsch (Marche nocturne) einer römischen Patrouille symbolisiert. Nach dem katastrophalen Misserfolg von „Fausts Verdammnis“ hatte Berlioz diesmal beim Publikum sehr viel Zuspruch. „L’Enfance du Christ“ wurde von fast allen Pariser Musikkritikern hochgelobt. Der Schäferchor und die zart instrumentierte fis-Moll-Ouvertüre bei „La fuite en Egypte“ geraten zu weiteren Höhepunkten dieser Auffführung. Auch das Lied des Herodes besticht durch voluminöse Intensität. Der Chor der Gaechinger Cantorey fesselt vor allem mit dem leuchtenden „Hosianna!“ des Engelschores am Ende des ersten Teils. In Stuttgart herrschte übrigens bis 1918 eine große Berlioz-Tradition. Berlioz hat seine Werke hier auch aufgeführt. Viel Applaus und Jubel des Publikums. 

Alexander Walther

 

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