STUTTGART/ Liederhalle: Konzert des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart im Beethovensaal der Liederhalle: EIN VERKANNTER MEISTER
Konzert des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart des SWR am 28. November 2014 im Beethovensaal der Liederhalle/STUTTGART
Der begabte japanische Dirigent Kazuki Yamada präsentierte zusammen mit dem an diesem Abend glänzend disponierten Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR zunächt die rasant musizierte Tanzsuite für Orchester (Sz 77) von Bela Bartok. Er schrieb die Partitur 1923 zur Fünfzigjahrfeier der Vereinigung der beiden Städte Ofen (Buda) und Pest. Es war also eindeutig ein patriotischer Anlass. Wie geschickt Bartok diese sechs Sätze seiner Suite über fünf Tanzthemen aufgebaut hat, machte Kazuki Yamada mit dem Orchester aufwühlend deutlich. Volksmelodien werden hier mit einem facettenreichen Ritornell verbunden. Da bohrte dann im ersten Satz von den Fagotten her ein Thema mit engen, kleinen Schritten monoton voran, entwickelte Kraft und Temperament, reckte sich wild auf und sank wieder zurück in die Enge und Dunkelheit des Beginns. Das Ritornell schaltete sich dann bei dieser nuancenreichen Wiedergabe ein mit dem lieblichen Klang seiner beschwingt-sinnierenden Streichermelodien. Mit einem frischen Terzmotiv meldete sich das Allegro molto und schaukelte sich in wiegender Wiederholung, ehe es in wilder Urwüchsigkeit und vom Rhythmus angefeuert rigoros seine Kräfte herausschleuderte. Und der weiche Klarinettenton bezwang mit der Ritornellmelodie den ungestümen Strom. Dann setzte wie scherzhaft aufstampfend die nächste Tanzweise (Allegro vivace) ein. In wirbelndem Schwung jagte sie zum Höhepunkt, mäßigte ihr Tempo, um mit ihrem elementaren Rhythmus anschließend umso wuchtiger aufzutreten. In eigenartig gleissendem Klang meldete sich das harmonische Klangbild wieder, raste in einem feurigen Temperamentsausbruch nochmals los und brach jäh ab. Das war eine hervorragende Leistung des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart des SWR. Hinter weichen Akkordschleiern trat eine stimmungsvolle Hirtenmelodie hervor – die Impression einer abendlichen Balkanlandschaft mit all ihrem erotischen Zauber wurde beschworen (Molto tranquillo). Interessant war dann, wie die geheimnisvolle Weise des Ritornells aus weiter Ferne ertönte – jetzt in den hohen ersten Geigen. Und daraufhin stimmten die Bratschen zum leisen Dröhnen des Tamtams eine seltsam umdüsterte Melodie an, die ihre Unheimlichkeit auch in den grellen Klängen des jähen Ausbruchs nicht verlor. Die Melodien der übrigen Sätze traten teilweise stürmisch hinzu, türmten sich aufeinander, verschränkten sich und suchten einander scheinbar zu überbieten, bis eine Erschöpfungsphase dem Ritornellthema zugute kam. Es wurde mitgerissen in den atemlosen Schwung der Themen-Reminiszenen, deren Feuer den prunkvollen und strettaartigen Schlussteil wie mit Peitschenhieben begleitete. Eine höchst virtuose orchestrale Leistung unter der furiosen Leitung von Kazuki Yamada. Der aus Kroatien stammende Pianist Dejan Lazic gestaltete dann sehr eruptiv das berühmte erste Klavierkonzert in Es-Dur von Franz Liszt. Der „Paganini des Klaviers“ präsentiert hier eine Fantasie mit gelegentlichen Seitenblicken auf den Ablauf der Sonate. „Allegro maestoso“ ist der erste Satz überschrieben – und das sehr strapazierte Kopfthema faszinierte die Zuhörer nicht nur wegen seines scharfen Rhythmus‘. Mit höchster, sehr transparenter Virtuosität nutzte Dejan Lazic alle Möglichkeiten des Klaviers, das sich in eine grandiose Kadenz stürzte. Sehr gut gelang es dem Pianisten, gegen den hartnäckigen Rhythmus des Kopfthemas mit lyrisch weichen Melodien anzukämpfen. Die zahlreichen dynamischen Kontraste stachen so in verblüffender Weise hervor. In geradezu schwärmerischer Poesie kündigte sich der zweite Satz Quasi Adagio an. Er besaß in dieser bemerkenswerten Wiedergabe leidenschaftliche Ausbrüche, ehe unter langen Klaviertrillern die Soli der Holzbläser wieder Frieden stifteten. Rhythmische Kapriolen, duftige Instrumentation und die Glanzlichter der Triangel beherrschten den Scherzo-Satz. Die Überleitung zum Finale griff mitreissend auf den ersten Satz zurück. Mit seinem Rhythmus setzte sich das Kopfthema wieder durch. Ein eigenwilliger Marsch beherrschte zuletzt diesen wilden Satz – und es war hinreissend, mit welcher enormen Kraft alle früheren Themen wieder anklangen. Allerdings hätte man sich manchmal ein noch deutlicheres Klangbild gewünscht. Dejan Lazic spielte den „Maestoso“-Grundzug dieser Komposition brillant aus, während das Kopfthema auch wieder imponierend zurückkehrte. Als Zugabe war mit chromatischen Finessen Franz Liszts „Gondoliera Venezia in Napoli“ zu hören. Dejan Lazic wurde in Zagreb geboren und studierte am Salzburger Mozarteum. 2014 hob er beim Aspen Music Festival sein eigenes „Klavierkonzert im Istrischen Stil“ op. 18 aus der Taufe. Alexander Glasunow war ein berühmter russischer Konservatoriumslehrer, zu dessen Schülern Schostakowitsch, Strawinsky und Prokofjew zählten. Er war aber auch ein um das Jahr 1900 berühmter Komponist, dessen Werke gefeiert wurden. Allerdings gab er sein Schaffen aufgrund der umfangreichen Lehrtätigkeit schon in jungen Jahren wieder auf. Danach gerieten seine Werke in Vergessenheit. Die ausgezeichnete Wiedergabe seiner Sinfonie Nr. 5 in B-Dur op. 55 durch das exzellente Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR unter der einfühlsamen Leitung von Kazuki Yamada bewies aber, dass er ein verkanntes Genie ist. Insbesondere das überaus turbulente, rhythmisch kraftvolle und abwechslungsreiche Finale zeigte die raffinierten Instrumentationskünste Glasunows in all ihren erstaunlichen Facetten. Klassizistische Formvorstellungen werden hierbei auf die Spitze getrieben. Und auch die östlich aufgebaute Themenstellung behauptete sich bei dieser Interpretation in eindringlicher Weise. Das stellte man schon in der rezitativartigen Einleitung des ersten Satzes fest, deren motivisches Material sich immer deutlicher entfalten konnte. Die Frische des ersten Satzes und die staccatohafte Elfenromantik des Scherzo ergänzten sich fabelhaft. Wunderbar klar herausgearbeitet wirkte jedoch auch der Unisono-Beginn des ersten Satzes, dessen Steigerungen Kazuki Yamada mit den Blechbläsern und den Streichern fulminant betonte. Die starke Innigkeit des Adagio sowie die straffe und marschartige Rhythmik des Finales waren besonders eindrucksvoll. Im Scherzo konnten sich vor allem die Holzbläser in ebenmäßigen Klangbildern behaupten. Anklänge an Liszt und Mendelssohn wurden auch nicht verleugnet – ebensowenig die Verquickung von russisch-nationalen Volksliedelementen mit westeuropäischem Geist. Mit heftiger Leidenschaft wurden die Themen vom Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR unter der feurigen Leitung des japanischen Dirigenten Kazuki Yamada ausgeschöpft.
Zuletzt gab es Ovationen für dieses Konzert der Kulturgemeinschaft.
Alexander Walther