STUTTGART: Kammermusik-& Liedkonzert-Festival im Mozartsaal der Stuttgarter Liederhalle. Konzert mit Nathanael Carre und Virginie Dejos am 8. Juni 2020 im Mozartsaal der Liederhalle/STUTTGART
MIT IRISIERENDEN KLANGFLÄCHEN
Dieses sehr „französisch“ wirkende Kammerkonzert im Rahmen des Kammermusik-& Liedkonzert-Festivals „Oper trotz Corona“ der Staatsoper Stuttgart machte mit der reizvollen Kombination von Querflöte und Klavier näher bekannt. Geradezu sphärenhafte Klangflächen offenbarten sich bei „Ballade et danse des Sylphes“ von Joachim Andersen, wo Nathanael Carre (Querflöte) und Virginie Dejos (Klavier) das figurative harmonische Geflecht eindringlich beschworen. Der spätromantische Komponist Joachim Andersen war ein dänischer Flötist, der zu den Gründungsmitgliedern des Berliner Philharmonischen Orchesters gehörte. Bei „Syrinx“ für Flöte solo von Claude Debussy war Nathanael Carre ganz in seinem Element, verband die thematischen Verflechtungen in bewegender Weise. Die Natur wurde hier mit großer Intensität beschworen. Syrinx ist nicht umsonst der griechische Name für die Panflöte oder die antike Hirtenpfeife. Von ganz besonderem Zauber war ferner „Krishna“ aus „Joueurs de flute“ op. 27 von Albert Roussel, wo die Elemente des Hinduismus in fantasievoller Weise herausgestellt wurden. Einflüsse von Claude Debussy und Maurice Ravel traten deutlich hervor. Impressionismus und Neoklassizismus wechselten sich jedenfalls in stilvoller Weise ab. Originelle kontrapunktische Entwicklungen wurden von beiden Solisten nuancenreich betont. Dabei merkte man als Zuhörer aber auch, dass Roussels Tonsprache herber wie die von Maurice Ravel ist. Das klang alles nicht unbedingt französisch.
Bei „Mei“ von Kazuo Fukushima für Flöte solo verleugnete Nathanael Carre den meditativen Charakter der Komposition keineswegs, es handelt sich hier auch um eine eindringliche Totenbeschwörung. Flatterzungen, Glissandi und Intervalle wechselten sich facettenreich ab. Zeitgenössische westliche Strömungen verbanden sich facettenreich mit der japanischen Tradition. Ganz besonders überzeugend war dann die Wiedergabe von Christoph Willibald Glucks „Reigen seliger Geister“, wo Nathanael Carre und Virginie Dejos ganz zusammenfanden. Die seelischen Stimmungen wurden in bewegender Weise eingefangen. Auch das formale Gerüst und die dynamische Balance gerieten nie aus dem Gleichgewicht. Die Durchsichtigkeit der sphärenhaften Harmonik stach hervor. Gelungen war außerdem die kunstvolle Wiedergabe von „Phenix“ von Regis Campo, wo Chromatik und raffinierte Atmung in farbenreicher Weise ineinander übergingen. Campo beschäftigt sich mit Mozart und Erik Satie, was man seiner Tonsprache anmerkt. Ganz hervorragend war außerdem „Chant de Linos“ von Andre Jolivet. Magisch und beschwörend fesselte diese Komposition auch durch ihre indischen und arabischen Einflüsse. Dabei wurde wiederum ein geheimnisvoller Bezug zur Musik Albert Roussels geschaffen. Auch die Dämonie der formalen Struktur stach dabei deutlich hervor. Das Magisch-Heidnische berührte die Zuhörer bei dieser Wiedergabe einmal mehr. Jolivet setzt bei seinen Flöten-Kompositionen auch immer wieder die „Flatterzunge“ ein. Die Nähe zu Strawinsky war bei dieser innerlich vibrierenden Wiedergabe nicht zu überhören. Trotz des relativ großen Abstands zwischen den beiden Solisten aufgrund der „Corona-Bedingungen“ spürte man, wie stark die beiden Musiker hier miteinander verbunden waren.
Die Pianistin Virginie Dejos ist übrigens auch ausgebildete Dirigentin (sie führte unter anderem Richard Wagners „Rheingold“ in Vendome auf). Außerdem ist sie Preisträgerin mehrerer Klavierwettbewerbe (darunter des Internationalen Skrjabin-Wettbewerbs). Carre ist seit 2012 Soloflötist im Staatsorchester Stuttgart.
Alexander Walther