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STUTTGART/ Liederhalle: Konzert mit dem SWR Symphonieorchester unter Currentzis mit Kopatchinskaja

18.09.2020 | Konzert/Liederabende


SWR-Symphonieorchester,Teodor Currentzis, Patricia Kopatchinskaja. Copyright: SWR /Klaus Mellenthin

Konzert mit dem SWR Symphonieorchester unter Currentzis mit Kopatchinskaja

Sensibilitäten entdecken

Konzert mit dem SWR Symphonieorchester unter Teodor Currentzis am 17.9.2020 in der Liederhalle/STUTTGART

Barock und Avantgarde vereinte dieses bewegende Orchesterkonzert unter der Leitung von Teodor Currentzis. Zunächst erklangen „…Zwei Gefühle…“, Musik mit Leonardo für Sprecher und Ensemble von Helmut Lachenmann. Helmut Lachenmann ließ Leonardo da Vincis aufwühlenden Text als einfühlsamer Sprecher lebendig werden. Furcht und Verlangen prägen dabei das emotionale Geflecht dieser Musik, die mit einem dichten kontrapunktischen Gehalt ein stürmisches Meer oder die gewaltigen Eruptionen der Vulkane in Süditalien suggestiv beschreibt. Das SWR Symphonieorchester unter der konzentrierten Leitung von Teodor Currentzis agierte hier ebenfalls äusserst präzis. Die dynamische Balance dieser komplizierten Harmonik geriet so nie aus dem Gleichgewicht. Im „Rezitativ“ vergleicht Leonardo die Naturgewalten mit der Unruhe seines Herzens und mit Hilfe von ungesteuerten Tönen und geheimnisvollen Fermaten, die vom Dirigenten aufgefangen werden. Trompete, Tuba und das pedalisierte Gehäuse des Flügels kommunizieren in geradezu aufregender Weise. Zuletzt kommt es zu einem heftigen Fortissimo-Schlag. Der für Lachenmann typische mechanische Kompositionsprozess wird dabei immer wieder aufgebrochen und verändert. Glissando-Effekte verstärken diesen auch rhythmisch packenden Eindruck. Als Uraufführung und Auftragskomposition des SWR erklangen dann „Possible places for Violin and Ensemble“ des russischen Komponisten Dmitri Kourliandski, die dieser Helmut Lachenmann widmete. Deutlich wird hier, dass auch Kourliandski mit erweiterten Spieltechniken arbeitet. Die Geigerin Patricia Kopatchinskaja verdeutlichte zusammen mit dem exzellent musizierenden SWR Symphonieorchester die Dur-Skalen und rhythmischen Strukturen mit nie nachlassender Energie und leuchtkräftiger Emphase. Die harmonische Ebene wirkte zuweilen sphärenhaft-schwebend und überirdisch. Auch die Pizzicato-Effekte brannten sich ins Gedächtnis ein. Hervorragend war auch der Eindruck, den die „Battalia für Streicher und Basso continuo“ in der Bearbeitung von Nikolaus Harnoncourt von Heinrich Ignaz Franz Biber hinterließ. Biber galt als der beste Geiger des 17. Jahrhunderts und wurde vom Kaiser geadelt. Battalia heißt übrigens „Schlacht“ und stellt eindeutig Kriegsbezüge her. Teodor Currentzis arbeitete zusammen mit dem SWR Symphonieorchester die rhythmischen Strukturen ausgezeichnet heraus. Zu Beginn herrschte bei dieser sehr stark in die Moderne weisenden Komposition eine übermütig-ausgelassene Stimmung in einem Heerlager. Ein seltsames Quodlibet bestimmte den zweiten Satz. Überschrieben ist dieser sehr originelle Satz mit „die liederliche Gesellschaft von allerley Humor“. Die Tonarten und Skalen wirbelten hier wild und atonal durcheinander. Und erstaunlich: Auch Biber nutzte ausgesprochen virtuos erweiterte Spieltechniken. Und so ging diese mit dem Bogen gestrichene Jagd wirklich unter die Haut. Sogar die Geigerin Kopatchinskaja haute schließlich mächtig auf die Pauke. Und zuletzt bestach „Anahit“ von Giacinto Scelsi als ungelöstes Rätsel voller Widersprüche. „Anahit“ bedeutet Klangstrom – und Teodor Currentzis arbeitete zusammen mit der vorzüglichen Violinistin Patricia Kopatchinskaja die Besonderheiten und klanglichen Vorzüge dieses „lyrischen Poems über den Namen der Venus für Violine und 18 Instrumente“ eindringlich heraus. Das Füllen der Zwischenräume zwischen zwei benachbarten Halbtönen wirkte dabei bezwingend. Patricia Kopatchinskaja entdeckte mit ihrer Geige ganz im Sinne Lachenmanns immer wieder neue Sensibilitäten und die ungetrübte Reinheit der Klangkultur. Viel Applaus und „Bravo“-Rufe. 

Alexander Walther

 

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