Konzert des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart des SWR im Beethovensaal der Liederhalle
Die eigentliche Überraschung dieses besonderen Konzertabends war die junge, hochbegabte Geigerin Patricia Kopatchinskaja, die in der Spielzeit 2014/15 bei den Berliner Philharmonikern debütiert. Sie musizierte zusammen mit dem einfühlsam begleitenden Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR unter der forsch-kompakten Leitung von Sir Roger Norrington Ludwig van Beethovens Konzert für Violine und Orhchester D-Dur op. 61 mit einem eigenen, aufregenden Kadenz-Arrangement nach der Original-Klavierfassung von Beethoven mit chromatischem Feinschliff und Glissando-Passagen. Virtuos, harmonisch und tief war dieses Musizieren, das sich den Zuhörern stark einprägte. Das wunderbar humane Ethos dieser Musik strahlte hell auf. Weihevoll-ernste Themen setzten sich hier wirkungsvoll durch. Alles war bei Patricia Kopatchinskajas Spiel aus dem Wesen des Instruments heraus empfunden und entfaltete sich in lyrischer Ausdruckskraft. Die bedeutungsvollen Paukenschläge des ersten Satzes Allegro ma non troppo wurden hier recht scharf akzentuiert. Ein gesangliches Hauptthema konnte sich so sicher entfalten. Seinen breit strömenden Fluss fing dann ein modulierender Gedanke auf – dramatisch und rhythmisch gestrafft. In warmer Emphase erblühte das nuancenreich gespielte Seitenthema. Die Solovioline hüllte die Themen in hoher Lage in ein friedvoll-entrücktes Leuchten, wobei das Sonatenschema in seiner kunstvollen Verarbeitung sichtbar wurde. Mild-verklärend bestach hier die erhabene klangliche Schlichtheit. Auch die Melodie des Larghetto gefiel mit weihevollem Ausdruck, dessen Intensität sich durch den Unterton einer sanften Ekstase steigerte. Die kunstvollen Umspielungen der variierten Melodie in der Solovioline interpretierte Patricia Kopatchinskaja mit nie nachlassender melodischer Kraft. Der in sich selbst versunkene Monolog der Solistin Patricia Kopatchinskaja beeindruckte dabei die Zuhörer ganz besonders. Aus der gleichsam feierlichen Entrücktheit leitete eine Kadenz hinüber in das Rondo mit seinem fröhlich wippenden Thema. Im lebhaften Disput mit dem Orchester formten sich prägnante Einwürfe, die für Abwechslung und Überraschungen sorgten und bisweilen sogar mit tragischen Verwicklungen drohten. Doch übermütig lösten sich die nicht ernst gemeinten Konflikte in einer überraschenden Schelmerei, die es in sich hatte. Ganz leise verflüchtigte sich das Rondothema im Solopart, bevor zwei kräftige Akkordschläge den Schlusspunkt setzten. Als Zugabe war noch Heinz Holligers witziges Violin-Solostück „Das kleine Irgendwas“ zu hören, wo Patricia Kopatchinskaja alle Register ihres Könnens zog. Die Kunst der feinen Nuancen behauptete sich hier ebenso wie ausgehorchte Vibrationen sowie expressive Schwebungen und reizvolle col-legno-Effekte. Die Stimme der Solistin wurde ebenso feinsinnig wie virtuos eingesetzt. Ein satirisches Feuerwerk! Zum Abschluss begeisterte das Publikum dann die in raschen Tempi dargebotene Sinfonie Nr. 2 in D-Dur op. 43 von Jean Sibelius, der zu Recht als finnischer Nationalkomponist gilt. Finnische Melodie-Elemente arbeitete Sir Roger Norrington mit dem exzellent und süperb musizierenden Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR in bewegender Weise heraus. Sie sind aufgeschlossener und freundlicher wie in der ersten Sinfonie. Das zart verschleierte pastorale Thema der Holzbläser bestach mit akustischem Glanz. Etwas weicher und nachdenklicher antworteten die Streicher, aber die für Sibelius bezeichnende Weiträumigkeit der Themenentfaltung verblüffte die Zuhörer bei dieser durchaus ausgefeilten Wiedergabe. Ein leidenschaftlicher Anstieg gipfelte in diesem bemerkenswert schroff gespielten Thema. Die anfangs fast verkrampften Kräfte trieben den Satz energisch voran. Mit einer großen Gebärde ließ Sir Roger Norrington diesen Satz mit dem Orchester ausklingen. Der zweite Andante-Satz begann bei dieser stürmischen Interpretation so, als ob jemand in finsterer Weite nach einem Halt sucht. Man fühlte sich stellenweise an Tschaikowsky erinnert – das Werk entstand ja schon 1902. Wie verloren ertönte der Paukenwirbel, dann malte eine wirre Figur der Kontrabässe (die an die Celli überging) das seltsam quälende Irren. Dunkel drängte die Fagottmelodie empor. Leidenschaftliches Aufbegehren mündete in einen jähen Zusammenbruch, was das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR unter der Leitung von Sir Roger Norrington sehr überzeugend herausarbeitete. Wie aus weiter Ferne sang nun herb eine Streichermelodie, deren latente Beziehung zum Kernthema des ersten Satzes bei dieser Interpretation nicht zu überhören war. Doch ihre Kraft reichte nicht aus, um die schmerzlichen Widerstände zu überwinden, die ihr mehr und mehr entgegentraten und sie in klagendes Moll umfärbten. Am Schluss schien es noch einen letzten Lösungsversuch zu geben: Die Melodie war jetzt auf ihre Kopfphrase zusammengepresst, aber trotz dieser gewaltigen Ballung änderte sich nichts an dem Ausgang, der in eine starre und eherne Klage zusammengefasst wurde. In wilder Jagd hetzte bei Sir Roger Norrington das atemlose Scherzo dahin – ruhelos und spukhaft auch dort, wo ein Thema finstere Gestalt annahm. Friedlich-besinnliches Volkslied-Glück verbreitete eine Oboenmelodie mit klagendem Unterton im Trioteil. Doch nicht lange dauerte hier das Idyll, dann hatte das Scherzo wieder das Wort. Nach der Aufhellung der Oboen-Episode meldete sich rasant das Finale Allegro moderato. Sir Roger Norrington ließ hier das Orchester mit großer Eile musizieren, doch das markig-einfache Kopfthema konnte sich dennoch großartig entfalten – auch wenn dieses hektische Musizieren durchaus die Gefahr der Oberflächlichkeit darstellen kann. Der sieghaft-festliche Charakter setzte sich bei der insgesamt gelungenen Aufführung jedoch sehr gut durch. Gelegentliche Anklänge an den ersten Satz betonte Sir Roger Norrington mit fast mathematischer Akribie. Keime des Kopfthemas ließen sich nicht verleugnen. Das ausgeweitete Kopfthema erreichte prunkhaft-imposante Steigerungen, auch wenn man sich zuweilen breitere Tempi gewünscht hätte. Ein weiterer Pluspunkt war, dass Norrington dieselbe Orchesteraufstellung wie Jean Sibelius im Jahre 1915 verwendete. Riesenbeifall.