Gustav Mahlers zweite Sinfonie mit dem Staatsorchester unter Cornelius Meister im Beethovensaal der Liederhalle am 13.3.2022/STUTTGART
Ungeheure Dimensionen
Im Jahre 1894 beendete Gustav Mahler seine zweite Sinfonie in c-Moll, die so genannte „Auferstehungssinfonie“. Für den abschließenden fünften Satz benutzte er Klopstocks Hymne „Auferstehn“. Nach Beethovens Vorbild zog er außer dem sehr reich besetzten Orchester noch zwei Solostimmen, Sopran und Alt, sowie den Chor hinzu. „Die Musik muss immer ein Sehnen enthalten, ein Sehnen über die Dinge dieser Welt hinaus“, so Mahler über seine zweite Sinfonie. Dies hat Cornelius Meister bei seiner Wiedergabe berücksichtigt. Heroisch beginnt hier auch der erste Allegro-Satz unter Meister, der das Staatsorchester Stuttgart zu immer neuen Höhenflügen anspornt. Aus kraftvollen Anläufen im Bass wird es emporgeschleudert. Die Ausweitung zum gewaltigen Themenkomplex ist bei dieser Interpretation stets nachvollziehbar. Verklärt steigt die Streichermelodie auf – und auch die feierlichen Bläserklänge besitzen eine ergreifende Leuchtkraft. Eine gewisse Nähe zum „Verklärungsthema“ bei Richard Strauss ist nicht zu überhören. Auch der zweite Themenkomplex mit der träumerischen Klarinettenweise prägt sich stark ein. In breiter Schönheit entfaltet sich dabei die Harmonik. Die Durchführung dringt auf eine Entscheidung, gibt sich absolut kämpferisch. Meister glättet dabei die harmonischen Blöcke nicht, zeigt die Konfrontationen präzis auf. Das wild losfahrende Kopfthema erscheint wie eine schön Vision und gipfelt in einer markanten Coda.
Danach lässt Meister bei diesem Konzert „Für den Frieden“ ergreifende Schweigeminuten folgen. Ein friedliches Naturidyll ist dann das Andante moderato, dessen menuettartige Weise zwischen Biedermeierseligkeit und Schubertscher Innigkeit hin- und herschwankt. Die Melodien der beiden tänzelnden Zwischenepisoden wirken ebenfalls überschwänglich. Und der entschwebende Ausklang besitzt sphärenhafte Sinnlichkeit. Als scherzoartiges Rondo kreist der dritte Satz um ein ausdrucksvolles Lied Mahlers aus „Des Knaben Wunderhorn“ mit dem Titel „Des Antonius von Padua Fischpredigt“. Durchaus bissig fährt hier die Musik mit grellen Klängen drein, spöttisch wirken die Melodien. Es ist ein Zerrspiegel grotesker Parodie. Mit freudigen Siegesfanfaren meldet sich der Trioteil. Etwas unstet Drängendes besitzen diese Fanfaren bei Cornelius Meister. Stine Marie Fischer (Alt) lässt die Mystik des vierten „Urlicht“-Satzes in ergreifender Weise zum Vorschein kommen: „O Röschen rot! Der Mensch liegt in größter Not! Der Mensch liegt in größter Pein!“ Die schlichte Melodie verfehlt dabei ihre magische Wirkung nicht. Die Angst des Gottsuchers zeigt eine ergreifende Wirkungskraft. Das Finale mit seiner Vision des Jüngten Gerichts lässt schon Mahlers gewaltige achte Sinfonie erahnen. Cornelius Meister kennt ihre ungeheuren Dimensionen und überträgt sie auf die zweite Sinfonie. Mit dem „wütenden Aufschrei des Entsetzens und des Ekels“ (Paul Bekker) beginnt dieser Satz, dessen mystisch verklärte Sphäre mit Glockenklang und Hornmelodien angereichert wird. Aus dem ersten Satz wird ein „Dies irae“-Motiv übernommen, zu dessen Klängen sich ein gespenstischer Zug behauptet. Das Staatsorchester Stuttgart musiziert unter der Leitung von Cornelius Meister bei diesen Passagen voll glutvoller Emphase. Das Suchen und Drängen wird bei dieser Interpretation hervorragend herausgearbeitet. Zu den drohenden Bläserrufen ziehen Kolonnen von Toten vorüber. Es sind Erlösungsvisionen und Verzweiflungsschreie. Appellrufe der Trompeten leiten zum Geistergesang des Chors „Auferstehn, ja auferstehn wirst du, mein Staub, nach kurzer Ruh!“ über. Der Staatsopernchor in der Einstudierung von Manuel Pujol lässt die Intensität dieser Weise sehr bewegend erklingen. Aus dem dunklen Gewoge der Stimmen erhebt sich leuchtend das Sopransolo von Christiane Karg „Hast nicht umsonst gelebt, gelitten!“ Das Verklärungsthema erscheint dann als schlichte Mischung zwischen Choral und Volkslied. Orgel- und Glockenton sorgen für ein rauschhaftes Crescendo. Jubel.
Alexander Walther