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STUTTGART/ Liederhalle: BRUCKNERS FÜNFTE SINFONIE. Stuttgarter Philharmoniker, Remy Ballot

07.04.2024 | Konzert/Liederabende

Bruckners fünfte Sinfonie am 6.4.2024 im Beethovensaal der Liederhalle/STUTTGART

Machtvolle Motive

Für Chefdirigent Dan Ettinger war kurzfristig der durch seine Bruckner-Aufnahmen in St. Florian berühmt gewordene Remy Ballot eingesprungen. Ballot ist der letzte Schüler des legendären Bruckner-Interpreten Sergiu Celibidache. Wieder war ein Minutenstück zu hören – und zwar „Preludes in Grains“ des iranischen Komponisten Arian Ahmadnezhad. Hier wird mit persischen Tonleitern und Vierteltönen virtuos gespielt. Das Werk ist eine Annäherung von Granularer Komposition und Orchestrierung. Es ist im persischen Chahargah-Modus komponiert worden und klingt ungemein expressiv. „Dastgahs“ sind die modalen Tonarten der persischen Kunstmusik, die durch besondere Intervallanordnungen hervorstechen. Die Stuttgarter Philharmoniker musizierten diese Komposition mit großer Konzentration und Präzision. Ahmadnezhad studiert derzeit Komposition an der Stuttgarter Musikhochschule.

Dann stand die Sinfonie Nr. 5 in B-Dur von Anton Bruckner auf dem Programm, die er selbst nie hören konnte und die er als seine „Phantastische“ bezeichnete. Dieses Werk existiert zum Glück nur in einer Fassung. Der Meister hatte sich von Besserwissern bei seinen anderen Sinfo nien zu immer neuen Überarbeitungen überreden lassen. Gelegentlich wurde er sogar als „halbverblödeter Spielmann Gottes“ verspottet. Das Thema hob hier gleichsam aus dem Nichts an – ahnungslos und feierlich, was Remy Ballot sehr gut betonte. Aus dieser kosmischen Spannung reckte sich ein signalartiges Motiv jäh auf, dem kraftvolle Choralklänge der Bläser antworteten. Milde Streicher hoben das Thema dann ans Licht, sobald der Orgelpunkt die Energien bannte. Seine elementare Kraft legten die Bläser machtvoll frei, bevor über stockender Harmonik die Geigen eine Melodie von verhaltener Leidenschaft vortrugen. Sie glühte hell auf, was Remy Ballot mit den Stuttgarter Philharmonikern hervorragend betonte. Ein markantes Motiv beherrschte die konzentrierte Durchführung mit den drei Themenkomplexen. Triumphal ließ nach der Reprise die Coda hier das Hauptthema erstrahlen. Mit einer facettenreichen Pizzicato-Phrase begann das ausdrucksstarke Adagio, in der die Oboe eine fast melancholische Weise vortrug. Remy Ballot vermied aber jede Übertreibung. Ein erhebender Streichergesang behauptete sich nun in bewegender Weise. Die rondoartig wiederkehrenden Episoden fielen positiv auf. Das Scherzo benutzte dann den ersten Themenkomplex des Adagio noch einmal. Die Anfangsphrase wurde von den Holzbläsern behutsam aufgenommen – eine Abwandlung der Oboenmelodie. Am besten geriet den Stuttgarter Philharmonikern das Finale, Adagio – Allegro moderato. Ein Klarinettenruf als Umspielung des Oktavsprungs leitete den unvergleichlichen Satz ein. Das Hauptthema des ersten Satzes behauptete sich voller Energie. Nach Reminiszenzen an den zweiten Satz baute sich hier überaus wuchtig die Fuge auf. Als lyrisches Fugenzwischenspiel meldete sich dann eine schmiegsame Melodie. Überhaupt beeindruckten die Streicherpassagen bei dieser Interpretation mit ausgezeichneter Geschmeidigkeit und einfühlsamen Legato-Bögen. Ein Choral der Blechbläser steigerte sich mit dynamischer Konsequenz – eine grandiose zweite Fuge baute darauf auf. So kam es zur Doppelfuge, die sehr präzis musiziert wurde. Die Holzbläser setzten das Hauptthema des ersten Satzes wieder in Kraft. Zur letzten Steigerung kamen die Hörner hinzu. Ein wunderbar gespielter Blechbläser-Chor ließ das Werk majestätisch ausklingen. Zwischen den einzelnen Sätzen trug der Autor Albrecht Selge seinen Text „Stille und Schwindel – Gedanken zu Bruckner“ vor. „Schwindel“ bedeutete dabei für den Autor Selge einen „Orientierungsverlust bei Bruckner“, dem er auch einen „Kontrapunkt-Fimmel“ attestierte. Das Zuhören gestaltete sich vergnüglich, auch wenn man nicht allen Thesen zustimmen konnte.  „Bruckner schweigt uns ziemlich heftig an“, lautete das Resümee des Autors Albrecht Selge. In diesem Zusammenhang bemerkte Selge auch, dass Wagnerianer reizbar und Bruckner-Fans freundlich seien.

Am Ende gab es lauten Jubel im Beethovensaal.

Alexander Walther

 

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