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STUTTGART/ Liederhalle/ Beethovensaal: SWR-SYMPHONIEORCHESTER (Schostakowitsch, Berlioz). Eschenbach, Khachatryan

Hexenritt mit rasendem Tempo

13.04.2019 | Konzert/Liederabende

SWR Symphonieorchester unter Christoph Eschenbach am 12. April 2019 im Beethovensaal der Liederhalle/STUTTGART

HEXENRITT MIT RASENDEM TEMPO

Gleich zwei wesensverwandte Komponisten standen im Mittelpunkt des siebenten Abonnementskonzerts unter der Leitung von Christoph Eschenbach – nämlich Schostakowitsch und Berlioz.

Die beginnende Violinkantilene des Konzerts für Violine und Orchester Nr. 1 a-Moll op. 77 von Dmitrij Schostakowitsch gestaltete der hervorragende armenische Geiger Sergey Khachatryan sehr ausdrucksvoll. Mit virtuosen Doppelgriffen steigerte er das Selbstgespräch in einem fast überdimensionalen Radius. Theatralisch-bildkräftige Tonschilderungen arbeitete auch der umsichtige Dirigent Christoph Eschenbach als Altmeister facettenreich heraus. Das anschließende Scherzo kam dann ebenso sarkastisch wie ironisch daher, Themensplitter und tänzerische Momente wechselten sich feinnervig ab. Die dreiteilige Liedform mündete in ein differenziertes Fugato. Bei der Passacaglia des dritten Satzes arbeitete Sergey Khachatryan den emotionalen Tiefgang der Partitur in bewegender Weise heraus. Das Fortspinnen der Idee führte hier zu immer gewaltigeren Dimensionen zwischen bestürzenden Wendungen und lyrischen Episoden. Vor allem die kunstvolle motivische Weiterentwicklung stand bei dieser konzentrierten Wiedergabe im Vordergrund. In der ausgelassenen Burleske des Finales überwältigte die ausgeprägte Musizierlust des „Teufelsgeigers“ Sergey Khachatryan einmal mehr, der Tragik und und plakathaften Patriotismus gleichermaßen akzentuierte. Signalmotive schossen wie leuchtkräftige Raketen in die Höhe, wobei Sergey Khachatryan seine Arabesken, Girlanden und Figurationen bogentechnisch immer präziser in die Luft schleuderte. Als Zugabe spielte er mit geradezu sphärenhafter Leidenschaft noch ein spirituelles armenisches Lied aus dem 10. Jahrhundert.

Auch bei der Symphonie fantastique op. 14 (Episode aus dem Leben eines Künstlers) von Hector Berlioz war Christoph Eschenbach mit dem SWR Symphonieorchester ganz in seinem Element. Die Liebe zu der englischen Schauspielerin Harriet Smithson soll übrigens der Anlass für dieses revolutionäre Werk gewesen sein. Träume und Visionen leuchteten unter Christoph Eschenbachs Dirigat immer wieder mächtig hervor. Die leitmotivische „idee fixe“ erschien dabei in vielen Nuancen. Leidenschaftlich aufgewühlt interpretierte Eschenbach den ersten Satz mit seinen „Träumen und Leidenschaften“, die immer mehr ausuferten. Ein eleganter Walzer beherrschte den zweiten Satz fast überirdisch. Intensiv gestaltete Christoph Eschenbach mit dem ausgezeichneten SWR Symphonieorchester dann den dritten Adagio-Satz als „Szene auf dem Lande“. Zwei Schäfer bliesen mit Englisch Horn und Oboe in der weiten Landschaft den Kuhreigen. Das Bild der Geliebten flammte dabei immer wieder grell auf, und der Künstler konnte kaum Ruhe finden. Differenzierte Klangfarben und Stimmungsschwankungen dieser Musik erfasste Eschenbach mit dem Orchester dabei mit minuziöser Präzision. Ein Gewitter zog schemenhaft vorüber, Donner grollte. In rasendem Tempo interpretierte Eschenbach mit dem Orchester den „Gang zum Hochgericht“ im vierten Satz, wo der Künstler träumt, dass er seine untreue Geliebte ermordet hat. Man führt ihn zum Richtplatz, wo er seiner eigenen Hinrichtung beiwohnt. Grausig und düster hob bei dieser Wiedergabe der schauerliche Marsch an, dessen Intensität sich ständig steigerte. Das letzte traumschöne Bild mit dem Gedanken an die Geliebte starb in einem ohrenbetäubenden Wirbel von Pauken und Trommeln. Im Finale kam der Hexensabbat ebenfalls mit unglaublich rasanten Tempi daher, wobei das feierliche „Dies irae“ als groteske Parodie katholischer Gebetsrituale bei dieser Wiedergabe äusserst markant hervorflimmerte. Der Grabgesang wurde zur grausigen Parodie mit wilden Blitzen, gellendem Lachen und fernem Schreien. Da sprach das SWR Symphonieorchester unter Christoph Eschenbach wahrhaftig mit tausend Zungen. Die Entfesselung der Ausdrucks- und Klangmöglichkeiten erreichte ungewöhnte Hitzegrade. Als wilde Fuge begann der Hexentanz, der sich unter Eschenbach wahrhaft orgiastisch steigerte. Zuvor hatte der Allegro-Teil das Thema der Geliebten eröffnet, die den Hexentanz anzuführen schien. Zuletzt wurde so feurig-atemlos musiziert, dass den Zuhörern stellenweise die Luft wegblieb.

„Bravo“-Rufe, tosender Applaus.

Alexander Walther          

 

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