Staatsorchester Stuttgart beim 6. Sinfoniekonzert in der Stuttgarter Liederhalle
STILL, VERSONNEN UND HOCH EXPLOSIV
Staatsorchester Stuttgart beim 6. Sinfoniekonzert am 22. Mai 2016 im Beethovensaal der Liederhalle/STUTTGART
Der Wiener Pianist Till Fellner überraschte das Publikum bei seiner einfühlsamen Wiedergabe des vierten Klavierkonzerts in G-dur op. 58 von Ludwig van Beethoven mit Hervorhebung des Reichtums der thematischen Arbeit und des souveränen Konzertierens zwischen Soloinstrument und Orchester. So kam es zu einem lebendigen Dialog zwischen beiden Partnern. Der lyrisch-innige Grundton des Konzerts wurde hier sehr gut getroffen, weil auch das Staatsorchester Stuttgart unter der sensiblen Leitung von Sylvain Cambreling überzeugend auf den Solisten einging. Die fast schon romantische Stimmung konnte sich so bestens entfalten. Zarter Zauber durchzog das Werk mit bestechenden Farbspielen der Harmonik und einer bemerkenswerten klanglichen Durchsichtigkeit. So wurde das still-versonnene Kopfthema gut deutlich. Auch das Seitenthema trat in kräftigem Rhythmus auf. Ein Wunder der Wandlungsfähigkeit zeigte sich bei dieser konzentrierten Wiedergabe, wobei deutlich wurde, mit welcher Präzision sich diese beiden Themen mit weiteren noch einfließenden Nebengedanken verbindet. Fesselnd gestaltete Till Fellner am Flügel auch das Andante con moto des zweiten Satzes, wo der Gegensatz zwischen dem schroffen Orchester und dem flehenden Klavierpart facettenreich betont wurde. Dieser dramatische Gegensatz löste sich daraufhin in sphärenhaften Höhen ergreifend auf. Und die klangliche Schönheit erstrahlte in vollem Glanz. Das Schluss-Rondo mit seinem forschen Thema begeisterte vor allem aufgrund der glitzernden Passagen-Episoden und besinnlichen Ruhepunkte. Der Gegensatz zwischen musikalischen Strukturtypen triumphiert bei György Ligetis „Clocks and Clouds“ für 12-stimmigen Frauenchor und Orchester (1972/73), wo Mikrotöne und Mikrobewegungen vorherrschen. Das Mechanische geht hier ins Schwebende, das Präzise verwandelt sich ins Unpräzise. Der Damenchor der Oper Stuttgart zeigte dabei einen erstaunlichen gesanglichen Bewegungsreichtum, der sich nicht nur bei den Sekundgängen stets steigerte. So kam es zu einem chamäleonhaften Wechsel zwischen nichttemperierten und temperierten Intervallen und Harmonien. Bläser, Streicher und Flöte traten hier in einen abwechslungsreichen akustischen Wettstreit ein, dessen Ausgang zuweilen sogar ungewiss war. Das alles erschien plötzlich höchst geheimnisvoll im Sinne eines magischen Neo-Impressionismus. Sylvain Cembreling akzentuierte als Dirigent vor allem die rhythmischen „patterns“ höchst präzise. Zwei Harfen, Glockenspiel, Vibraphon und Celesta unterstrichen hier Ligetis Hinweis auf Dalis Gemälde „Die Beständigkeit der Erinnerung“ aus dem Jahre 1931. Wie Uhren und Wolken tatsächlich klingen, führt hier zu einer bewegenden Antwort. Zum Abschluss faszinierte der Damenchor der Oper Stuttgart nochmals bei „La Tragedie de Salome“ für Frauenstimmen und Orchester von Florent Schmitt, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts einer der führenden Komponisten Frankreichs war. Anders als Richard Strauss, von dem Schmitt neben Wagner und Debussy beeinflusst wurde, ging Schmitt dabei auf eine Fassung des Salome-Stoffes von Richard d’Humieres zurück, dem Direktor des Pariser Theaters. Die naturhafte Atmosphäre steht hier deutlich im Mittelpunkt. Rhythmisch raffinierte und bitonale Akzente steigerte Sylvain Cambreling zusammen mit dem glänzend disponierten Staatsorchester Stuttgart zu rauschhaften Höhepunkten, die total unter die Haut gingen. Einflüsse Strawinskys, der übrigens Widmungsträger dieser Partitur ist, ließen sich bei dieser durchdachten Interpretation ebenfalls nicht verleugnen. So wuchsen Vorspiel, Tanz der Perlen, Zaubereien auf dem Meer, Tanz der Blitze mit dem Motiv des abgeschlagenen Kopfes von Johannes und Tanz der Furcht ganz zusammen. Zuletzt brach alles über der Tänzerin Salome zusammen, die von einem rasend-höllischen Wahn ergriffen wurde. Das reiche polyphone Gewebe der glühend-leuchtkräftigen Partitur arbeitete Sylvain Cambreling mit dem Staatsorchester Stuttgart hervorragend heraus. Staccato-, Tremolo- und Martellato-Passagen stachen mit stählerner Kraft hervor. Das Konzert war dem kürzlich verstorbenen Kontrabassisten des Staatsorchesters Stuttgart, Elmar Preiß, gewidmet.
Alexander Walther