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STUTTGART/ Liederhalle: 4. ORCHESTERKONZERT DES STAATSORCHESTERS im Beethovensaal. Pablo Gonzalez, Elisabeth Brauß (Klavier) (Kurtag, Black, Berlioz)

18.02.2024 | Konzert/Liederabende

Viertes Orchesterkonzert des Staatsorchesters am 18.2.2024 im Beethovensaal der Liederhalle/STUTTGART

Mitten im Klang

 Der Titel „…quasi una fantasia…“ für Klavier und Instrumentalgruppen des ungarischen Komponisten György Kurtag aus den Jahren 1987/88 verweist direkt auf die Klaviersonaten op. 27 von Ludwig van Beethoven. Die Bezeichnung des zweiten Satzes „Wie in Traumeswirren“ geht auf Robert Schumann zurück. Mit der versierten Solistin Elisabeth Brauß (Klavier) musizierte das Staatsorchester Stuttgart unter der konzentrierten Leitung von Pablo Gonzalez diese flüchtigen Bilder der Fantansie eindrucksvoll.

Eine geheimnisvoll hinabfallende C-Dur-Tonleiter im Klavier eröffnete dieses eigenwillige Stück, das mit der räumlichen Weite spielt. Klänge des Schlagwerks begleiteten die Sequenzen des Klaviers immer wieder eindringlich. Das Presto der „Mondscheinsonate“ schimmerte facettenreich durch. Die collagenartigen instrumentalen Farben entwickelten sich bei dieser subtilen Wiedergabe wie von selbst – von Bartok und der ungarischen Folklore unabhängig. Gewaltige Blechbläserklänge auf der Empore und Ostinato-Paukenschläge explodierten dann geradezu im zweiten Satz, den Kurtag als „Rezitativ“ bezeichnete. Düstere Klänge erinnerten an einen Trauermarsch, dessen Intensität nicht nachließ. Holzbläser, Streicher und Harfe schufen leise Zwischentöne. Der vierte Satz „Aria“ bezieht sich auf ein Gedicht Friedrich Hölderlins, wo Abschied und Trennung im Zusammenhang mit einem Frankreich-Aufenthalt verarbeitet werden. Pablo Gonzalez und das famose Staatsorchester Stuttgart arbeiteten die poetische Intention sehr gut heraus. Aufsteigende Tonfolgen erinnerten dann suggestiv an das „Microlude Nr. 5“ von Kurtag. Die Harmonik des Klaviers übertrug sich einfühlsam auf die Ersten Violinen. Das Klangbild löste sich farbenreich mit dem Spiel der Mundharmonikas auf. Bei der interessanten Uraufführung von „A sound, a narrow, a channel, an inlet, the straits, the barrens, the stretch of a neck“ (2023) der kanadischen Komponistin Annesley Black verteilten sich die Musiker des Staatsorchesters unter der einfühlsamen Leitung von Pablo Gonzalez im gesamten Raum. Die Streicher bewegten sich zu geheimnisvollen Glissando-Figuren im Parkett. Rhythmische Passagen des Schlagzeugs unterstrichen die Beschreibung der eindrucksvollen Landschaft der Antarktis, wo die Glissandi der Streicher die Schmelzprozesse der Gletscher  beschreiben. Einige der Streicher waren sogar im Foyer platziert. So entstand ein aufregendes Hörerlebnis, das man nicht vergaß. Die Solovioline spielte ein verzerrtes Zitat aus Antonio Vivaldis „Die vier Jahreszeiten“. Auch mehrchörige Assoziationen zu Giovanni Gabrieli waren herauszuhören.  Chromatisch aufsteigende Arpeggien breiteten sich im Orchester aus. Die Blechbläser auf der Fernchorloge hinter dem Publikum und die Blechbläser auf der Chorloge verbanden sich plötzlich mit abwärtsfallenden Linien. Und zuletzt verbreitete sich nach reizvollen kammermusikalischen Impulsen Stille. Dieses Werk ist ein Kompositionsauftrag des Podium Gegenwart.

Zum Abschluss folgte eine mitreissende Interpretation der „Symphonie fantastique“ op. 14 von Hector Berlioz, wo Pablo Gonzalez mit dem Staatsorchester Stuttgart eher rasche Tempi wählte. Wie man weiß, war Berlioz‘ unglückliche Passion für die Schauspielerin Henriette Smithson der Anlass für diese Komposition, die er dann später sogar heiratete. Die tönende „idee fixe“ dieser imaginären Geliebten zeichnete Gonzalez mit dem Staatsorchester ausgesprochen klangschön nach. Leidenschaftlich aufgewühlt erschien hier dieser erste Satz, wo „Träumereien und Leidenschaften“ den Protagonisten heftig quälten. Von Sehnsucht bis zur Eifersucht durchlitt er alle Qualen einer ausweglosen Beziehung. Ein duftig-eleganter Walzer beherrschte den zweiten Satz, der eine festliche Atmosphäre ausmalte. Ungemein stimmungsvoll wurde das Adagio gestaltet, eine „Szene auf dem Lande“, die aber keine Nähe zu Beethovens „Pastorale“ besitzt. Zwei Schäfer bliesen auf Englisch Horn und Oboe (hinter der Bühne) elegische Reigen. In der friedlichen Abendstimmung tauchte plötzlich das Bild der Geliebten auf, unheilvoll rollte der Donner heran. Den „Gang zum Hochgericht“ interpretierte Pablo Gonzalez mit dem Staatsorchester Stuttgart als makabres Scherzo. Der Künstler träumt davon, seine Geliebte ermordet zu haben, deswegen wird er zum Tode verurteilt und zu seiner Hinrichtung geführt. Der letzte Gedanke erschien in der  Klarinette wieder als „idee fixe“. Dann fiel das Fallbeil der  Guillotine im grotesken Wirbel von Pauken und Trommeln herab. Am besten gelang dem  Staatsorchester Stuttgart der letzte Satz „Traum einer Sabbatnacht“. Dabei erschien ihm die Geliebte als Hexe – brüllend begrüßt von der unheimlichen Gesellschaft. Den Allegro-Teil eröffnete rasant das Thema der „Geliebten“. Der Klang der Sterbeglocken leitete unheimlich über zum Einsatz des „Dies irae“, das sich zur grässlichen Grimasse verzerrte. Als wilde Fuge begann der Hexentanz, der sich bis zum orgiastischen Schluss wahrhaft infernalisch steigerte. Jubel, „Bravo“-Rufe beendeten das wilde Staccato-Feuer.

 

Alexander Walther

 

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