- Sinfoniekonzert des Staatsorchester Stuttgart in der Liederhalle: MUSIK AUS DER FERNE am 6.3.2016
Unter dem Motto „Abgründige Paradiese“ wurden bei diesem Staatsorchesterkonzert Werke von Franz Schreker, Philippe Boesmans und Gustav Mahler als Hommage an das Wien der Jahrhundertwende zusammengebracht. Unter der kompetenten Leitung des argentinischen Dirigenten Alejo Perez erklang zunächst das Intermezzo op. 8 aus dem Jahre 1900 von Franz Schreker. Der traditionell fünfstimmige Streichersatz ist hier ins Neunfache erweitert, was das Staatsorchester Stuttgart eindringlich zur Geltung brachte. Der traumverlorene Beginn in fis-Moll mündete in einen leidenschaftlich musizierten Mittelteil mit markanter Rhythmik. Die Kantilenen der Streicher prägten sich dabei tief ein. Leises Singen und Sehnen beschwor den geheimnisvollen Märchenton in vielen Farben und Schattierungen. Ferne Horn-Rufe unterstrichen die Zauber-Stimmung. Der 22jährige Schreker erhielt für dieses Werk einen ersten Preis.
Die mit feinen Klangfarben aufwartende amerikanische Sopranistin Laura Aikin interpretierte dann zusammen mit dem durchsichtig-transparent musizierenden Staatsorchester unter der Leitung von Alejo Perez die expressiven „Trakl-Lieder“ für Sopran und Orchester aus den Jahren 1986/89 des belgischen Komponisten Philippe Boesmans, dessen Oper „Reigen“ am 24. April 2016 in der Staatsoper Stuttgart Premiere hat. Der d-Moll-Klang ist hier in drei Posaunen und eine Tuba eingehüllt. Zu den Gedichten Georg Trakls erklingt dabei ein Fernorchester mit Horn, Trompete, Violine und Violoncello in Begleitung von Klavier-, Harfen- und Vibrafonklängen. Assoziationen zu Gustav Mahler, Alexander von Zemlinsky, Richard Strauss und Alban Berg ergeben sich dabei wie von selbst. Der Duft der Poesie spircht bei „Rondel“, „Im Herbst“, „Schweigen“ oder „Nachts“ eine spirituelle Sprache. Zauberhaft, verführerisch und zerbrechlich erscheint diese Musik – wie ein ferner Klang, ganz im Sinne Franz Schrekers. Das Entsagungsvolle vermag die begabte Sopranistin bei „Schweigen“ am eindrucksvollsten zu betonen. Zuweilen meint man den Impressionismus Claude Debussys zu vernehmen. Tonarten wie C-Dur oder fis-Moll steuern geradezu zielgerichtet auf die Hörer zu, lassen ihnen keine Fluchtmöglichkeiten. So agierte auch das Staatsorchester Stuttgart mit großer spieltechnischer Konzentration. Zuletzt war die mit weiten Legato-Bögen und großer lyrischer Intensität interpretierte Sinfonie Nr. 4 in G-Dur für großes Orchester und Sopran-Solo (1899/1900) von Gustav Mahler zu hören. Die Sopranistin Laura Aikin saß dabei von Beginn bis Ende auf dem Podium, was nur selten der Fall ist. Alejo Perez lotete den Ritardando-Beginn mit der Klarinette in der Fassung von 1911 feingliedrig aus. Man begriff angesichts dieser transparenten Wiedergebe, warum Mahlers Vierte als seine populärste Sinfonie gilt. Assoziationen zu Haydn und Schubert waren bei dieser durchsichtigen Musizierweise gut herauszuhören. Schlichte Innigkeit herrschte in beglückender Weise vor. Der erste Satz schilderte in besinnlichen Klängen die wunderbare Reise zum Himmel. Eine heitere Welt mit Schellengeläut und Vogelruf beherrschte die Szene. Und das forsche Wanderlied wurde in seiner ausufernden Unbekümmertheit glanzvoll unterstrichen. Schwärmerisch meldeten sich die Bratschen, Seitenthemen mischten sich in reicher Fülle ein. Beim Scherzo spielte „Freund Hein“ wahrlich hintersinnig-philosophisch auf. Die Solovioline wurde zur grotesken Fiedel des Todes. Der Totentanz kam hier allerdings eher gemächlich daher. Noch überzeugender gelang dem Staatsorchester Stuttgart unter der bewegenden Leitung von Alejo Perez das ruhevolle Adagio mit seinen Variationen über die unvergleichliche Zauberkraft des Paradieses. Die „Verheißung“ mit dem gewaltig vorweggenommenen Hauptthema des Schluss-Satzes überstrahlte dann alle vorausgehenden Passagen. Schwärmerisch verkündete Laura Aikin die Strophe „Wir genießen das himmlische Leben“ aus „Des Knaben Wunderhorn“. Bei der rührend gesungenen Weise „Elftausend Jungfrauen zu tanzen sich trauen“ steigerte sich Laura Aikins voluminöse Sopranstimme zu einem „himmlischen Reigen“ bei der Sequenz „Caecilia…dass alles für Freuden erwacht“.
Stürmischen Schlussapplaus gab es für das Ensemble und Laura Aikin, die übrigens zuletzt unter anderem als Emilia Marty in Leos Janaceks „Sache Makropulos“ an der Wiener Staatsoper zu erleben war.
Alexander Walther