4. Sinfoniekonzert „Jungbrunnen“ des Staatsorchesters Stuttgart in der Liederhalle
FEUER UND GLUT
Konzert des Staatsorchesters am 22. Februar 2015 in der Liederhalle/STUTTGART
Unter dem vielsagenden Motto „Jungbrunnen“ wurde das vierte Staatsorchesterkonzert unter der Leitung von Generalmusikdirektor Sylvain Cambreling im Beethovensaal der Liederhalle präsentiert. Zunächst stand die vielschichtige Komposition „Three Illusions“ des amerikanischen Komponisten Elliott Carter auf dem Programm, der 2012 im Alter von 103 Jahren gestorben ist. Carter ist ein umfassend gebildeter Musiker gewesen, der als eigene Technik die „metrische Modulation“ entwickelt hat. Tempo und Charakter der feurig-glühenden Musik wechseln auch ständig bei „Three Illusions“ für Orchester aus den Jahren 2002 bis 2004. Sylvain Cambreling betonte bei seiner einfühlsamen Wiedergabe Carters facettenreiche Auseinandersetzung mit dem Altern und dem Alter. Hier werden individuelle Bilder geschaffen, die sich beim Hörer tief einprägen. Im ersten Satz „Micomicon“ stehen unverzagte Elemente dem Träumerischen gegenüber. Heftige Staccati der Bläser treffen auf lang ausgehaltene Streicherklänge. Wir befinden uns in der sagenhaften Welt von Cervantes‘ Roman „Don Quixote“, wo Sancho Panza den Antihelden von seiner Verrücktheit befreien will. Der zweite Satz „Fons Juvenatis“ fasziniert als sehr bewegtes Orchesterstück mit auf- und niederstürzenden Klangkaskaden, Arpeggien, Trillern und Tremoli, wobei die Wasserklänge eines Jungbrunnens imitiert werden sollen. Eine typische Geschichte der römischen Mythologie wird dabei facettenreich mit vielen Pizzicati thematisiert. Jupiter verliebt sich in die Nymphe Juventas und verwandelt sie in einen Brunnen, dessen Wasser alle verjüngt, die sich darin waschen. Der dritte Satz „Utopia“ widmet sich der idealen Gesellschaft in einer Gegenwelt, die Thomas Morus in seinem Roman „Utopia“ beschrieb. Sylvain Cambreling ließ bei seiner konzentrierten Interpretation mit dem Staatsorchester Stuttgart den Klangfarbenreichtum und die expressiv-explosive Kraft dieser ungewöhnlichen Partitur aufblühen. Ein nuancenreiches Schlagzeug-Solo beherrscht diesen Schlusssatz.
Der exzellente Pianist Martin Stadtfeld war dann der ausdrucksstarke Solist in Felix Mendelssohn Bartholdys Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 g-Moll op. 25, das er ausgesprochen sensibel und mit glasklarer Anschlagstechnik interpretierte. Kraft und Schönheit der Melodien und der rhythmische Fluss wurden vom hervorragend musizierenden Staatsorchester Stuttgart unter der Leitung von Sylvain Cambreling ebenfalls bewegend eingefangen. Sehr energisch setzte der erste Satz (Molto allegro con fuoco) ein. Das Vorbild Beethoven war bei dieser durchdachten Wiedergabe deutlich erkennbar. Sanft bittend folgte dann das zweite Thema. Nach der weniger virtuosen als dramatischen Durchführung leitete ein rhythmisch geschärftes Motiv in das Andante mit seiner gefühlvoll-frommen Romanzen-Melodie über. Es kehrte später im Finale wieder. Das rasant gespielte Presto schloss sich mit höchster Virtuosität dem Überleitungsthema an. Rauschende Passagen entluden sich in dem festlich beschwingten Hauptthema des Molto allegro e vivace, das dann vorwiegend von glitzernden Klavierfiguren beherrscht wurde. Kapriziöse Köstlichkeiten arbeitete der ausgezeichnete Pianist Martin Stadtfeld hier geradezu meisterhaft heraus. Als Zugabe überzeugte er noch mit einem kantabel gespielten Präludium von Johann Sebastian Bach in der kunstvollen Bearbeitung von Ferrucio Busoni. Er gewann 2002 den ersten Preis beim Bach-Wettbewerb in Leipzig.
Zum Abschluss gefiel die mit vielen ungewöhnlichen Crescendo-Steigerungen aufwartende Wiedergabe von Ludwig van Beethovens Sinfonie Nr. 5 in c-Moll op. 67, wo Sylvain Cambreling vor allem aus den Blechbläsern strahlkräftige Glanzpunkte hervorzauberte. Auch die Pauken donnerten grollend los! Trotzig-düsteres c-Moll beherrschte den forschen Streicher-Beginn, wo das Schicksal auch mit den Klarinetten wirklich unerbittlich an die Pforten klopfte. Das zum Motiv verkürzte Thema wurde von Cambreling minuziös betont. Die Violinen fingen einen schroffen Hornruf auf. Die Antwort fand in Flöten und Klarinetten ein mildes Echo. Bis zum Schluss behauptete sich bei dieser Interpretation das Kopfmotiv mit seinem elementaren Rhythmus. Zuversichtlicher Ernst war dann der Wesenszug des ausdrucksvollen Gesangsthemas, an dem sich die Variationen des zweiten Satzes Andante con moto orientierten. Im Bass klang zwar noch der schicksalhafte Viererrhythmus nach, aber schon nutzten Hörner und Trompeten seine Stoßkraft. Sie gaben dem Motiv energisch die Richtung nach oben. Der Satz klang mit diesem gewandelten Tonsymbol klangfarbenreich aus. Der Scherzo-Charakter des dritten Satzes wurde ebenfalls genüsslich ausgekostet. Man erinnerte sich sogar an das Finale von Mozarts g-Moll-Sinfonie mit einer drängend aufsteigenden Folge der Dreiklangstöne im Bass. Geheimnisvoll zögernd kam bei dieser detailgenauen Wiedergabe auf diese Frage die Antwort, dann erweckten die Hörner in schneidender Schärfe wieder den schicksalhaften Viererrhythmus. Er hämmerte gnadenlos durch ein neues Thema, bis eine Dur-Episode wieder vom Bass her mit Fugato-Charakter neue Energien entfachte. Das akzentuierte Sylvain Cambreling mit dem Staatsorchester Stuttgart wahrhaft spannungsvoll. Die geheimnisvolle Stimmung des Anfangs kehrte jedoch noch einmal wieder, jetzt noch dichter in der Spannung, da der unheimliche Rhythmus nur gedämpft erdröhnte. Hartnäckig hämmerte er weiter, bis sich in den Violinen Neues anbahnte. Eine mitreissende Fanfare leitete den unbeschreiblichen Jubel des letzten Satzes ein. Aus seiner Dur-Ekstase tauchte noch ein ähnlich markantes Thema in den Hörnern auf. Unheimliches und Beängstigendes wurden in dieser Interpretation Sylvain Cambrelings deutlich zurückgedrängt. Vollends zerbrach diese seltsame Macht, als eine dritte Fanfare im Fagott aufklang, das die Hörner ablöste. Immer machtvoller schwoll die Ekstase über dem gewaltigen Viererrhythmus im Bass an. Fazit: Diese Wiedergabe zeichnete sich vor allem dadurch aus, dass ihre akustische Qualität sich immer mehr steigerte.
Alexander Walther