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STUTTGART/ Liederhalle:  3. Konzert des Staatsorchesters Stuttgart unter Thomas Guggeis mit Josefin Feiler (Britten, Parra, Sibelius, Debussy)

26.03.2023 | Konzert/Liederabende

 3. Konzert des Staatsorchesters Stuttgart am 26. 3. 2023 im Beethovensaal der Liederhalle/STUTTGART

Meeresstimmungen eindrucksvoll gedeutet

Diesmal stand das Meer im Mittelpunkt. Unter der einfühlsamen Leitung von Thomas Guggeis interpretierte das Staatsorchester Stuttgart zunächst „Four Sea Interludes“ aus der Oper „Peter Grimes“ von Benjamin Britten. Das Meer als musikalische Grundfarbe trat hier in wahrhaft faszinierender Weise in Erscheinung. In den vier Stücken gelangten auch bei diesem Konzert die verschiedenartigen Meeresstimmungen mit großer tonmalerischer und rhythmischer Eindringlichkeit zur Geltung. Die knappen Themen erhielten hier höchste Bildkraft und auch ein großes poetisches Gefühl, dessen Intensität immer mehr zunahm. Die friedliche Morgenstimmung des ersten Interludes „Dawn“ beschrieb facettenreich die Bewegung der Wellen. Gewaltige Bläserakkorde untermalten diese Szene. „Sunday Morning“ beeindruckte dann als zweites Interlude, wo Kirchenglocken und rasche Bläserfiguren zu hören waren. „Moonlight“ gefiel dank des raffinierten Klangfarbenspiels von Streichern, Hörnern und Fagotten. Bei „Storm“ uferte die Harmonik in monumentaler Weise aus, der beschriebene Sturm entfachte eine furchterregende Stimmung, die Thomas Guggeis mit dem Staatsorchester transparent gestaltete.

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Josefin Feiler. Foto: Matthias Baus

Anschließend erfolgte mit „Ich ersehne die Alpen“ des spanischen Komponisten Hector Parra eine Uraufführung. Dieses Monodram von Händl Klaus für Sopran, Elektronik und Orchester (2022/23) ist ein Auftragswerk der Staatsoper Stuttgart. In diesem Monodram erträumt die von Josefin Feiler gesungene Protagonistin Olivia eine Berglandschaft als Ort des vollkommenen Glücks.  Das Staatsorchester Stuttgart unter Thomas Guggeis begleitete sie bei dieser höchst expressiven Partitur sehr eindringlich und bewegend. Die elektronischen Klänge sind hier ein wesentlicher Bestandteil der Komposition, deren dramatische Passagen sich immer weiter zuspitzen. In fiebrigem Delirium spricht Olivia zu den Alpen wie zu engen Vertrauten. So kommt es zur Verschmelzung mit der Natur, was die breite Klangfarbenpalette wirkungsvoll beschreibt. Man hört Klänge von Steinen, Gletschern, Eis und Wasser. Es entsteht eine enge Verbindung zwischen Singstimme und Orchester. Die hervorragende Sopranistin Josefin Feiler nutzte diese Verbindung, um elektrisierende gesangliche Intervallspannungen  und strahlkräftige Kantilenen zu erzeugen. Gesten und Texturen traten ebenfalls bei den geheimnisvollen elektronischen Klängen auf, die sich immer weiter verdichteten. Auch Olivias grenzenlose Sehnsucht nach der Natur trat immer deutlicher zutage. Und auch ihre heftige Verzweiflung prägte sich tief ein: „Wo bleibt ihr denn? Ihr Lieben. Was ist los?“ Ganz entfernt erinnerte die Musik manchmal auch an Arnold Schönbergs berühmtes Monodram „Erwartung“. Serielle und Zwölftontechnik blieben spürbar.

Ausgezeichnet gelang dem Staatsorchester Stuttgart unter der Leitung von Thomas Guggeis außerdem die im Jahre 1914 entstandene Tondichtung „Die Okeaniden“ op. 73 von Jean Sibelius. Hier scheinen die Okeaniden aus der griechischen Mythologie durch die Weiten des Meeres zu tanzen, bis eine gewaltige Welle alles mit sich reißt. Dabei entsteht eine für Sibelius ungewöhnlich helle Klangfarbe, die das Orchester stark prägt. Aus den Flöten entwickelt sich geheimnisvoll eine Themengruppe, zu der sich bei Oboe und Englischhorn eine zweite Themengruppe gesellt. Thomas Guggeis zeichnete mit dem Staatsorchester Stuttgart diese unheimliche Stimmung und Veränderung ausgezeichnet nach. Und es kam tatsächlich zu einer gewaltigen Wellensteigerung und dynamischen Entladung, als die große Welle hereinbrach. Impressionistische Einflüsse waren deutlich zu hören. Dass man Sibelius oft als „Rhapsoden unter den Sinfonikern“ bezeichnet hat, lässt sich vor allem anhand dieser genialen Tondichtung nachvollziehen.  Herbe  Farbgebung und suggestive Melodik der Motive wurden von Thomas Guggeis und dem Staatsorchester ausdrucksvoll nachgezeichnet. Man erkannte auch den Zauber von Sibelius‘ Sinfonien.

Zuletzt begeisterten das Publikum noch die drei berühmten sinfonischen Skizzen „La Mer“ von Claude Debussy aus den Jahren 1903 bis 1905. Von der Morgenstimmung bis zum Mittag auf dem Meer konnte man den Klangfarbenreichtum und das Flimmern und Funkeln nachvollziehen. Das glühende Gestirn goss Fluten von Licht über den Ozean. Und das Staatsorchester ließ dieses harmonische Geflimmer in hinreissender Weise Revue passieren. Die fluktuierenden Motive und irisierenden Klänge steigerten bei dieser Wiedergabe noch ihre Qualität bei den folgenden Stücken „Spiel der Wellen“ („Jeux de vagues“) und „Dialog zwischen Wind und Meer“ („Dialogue du vent et de la mer“). Man konnte regelrecht heraushören, wie die Wellen spielerisch an den Strand plätscherten. Ein unbekannter Rhythmus übernahm die Vorherrschaft, alles ordnete sich unter. Die Melodie strömte in immer breiterem Atem dahin. In den Harfen rauschte die Brandung auf. Und im dritten Satz raunten sich die beiden Elemente Wind und Meer gegenseitig zu, welche unglaublichen Kräfte sie entfalten wollten. Der hymnische Gesang geriet bei Thomas Guggeis und dem Staatsorchester Stuttgart zuletzt zur Ekstase. Thomas Guggeis ist übrigens designierter Generalmusikdirektor der Oper Frankfurt.

Frenetischer Schlussapplaus, „Bravo“-Rufe. 

Alexander Walther

 

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