Stuttgart: 2. Sinfoniekonzert des Staatsorchesters Stuttgart im Beethovensaal der Liederhalle in Stuttgart
FEINE GIRLANDEN UND FIGURATIONEN
2. Sinfoniekonzert „Symphonien“ des Staatsorchesters Stuttgart am 7. Dezember 2014 im Beethovensaal der Liederhalle/ STUTTGART
Das war eine interessante klangliche Kombination unter dem vielsagenden Motto „Symphonie“. In seinen „Symphonies of wind instruments“ (Bläsersinfonien) aus dem Jahre 1920 verarbeitet Igor Strawinsky Glocken, Tänze, russische Melodien und Choräle. Er widmete dieses 1947 überarbeitete Werk Claude Debussy. Der aus Israel stammende Dirigent Ilan Volkov arbeitete mit dem Staatsorchester Stuttgart den besonderen Klang und die fesselnden thematischen Einfälle minuziös heraus. Die irritierenden Zusammenklänge der 23 Blasinstrumente erhielten bei dieser Wiedergabe einen betont konzertanten Charakter, wobei der Sog der Motive immer stärker zunahm. Auch die rhythmischen Effekte wurden hier äusserst konzentriert betont. Die Form einer strengen Zeremonie wurde aber immer wieder in elektrisierender Weise aufgebrochen und dynamisch verändert. Das war durchaus spannend anzuhören. Einen ähnlich positiven Eindruck vermittelte auch Strawinskys Sinfonie in drei Sätzen („Symphony in three movements“), die ursprünglich als Klavierkonzert gedacht war. Der pathetische Beginn schlug die Zuhörer sofort in seinen Bann. Die Ähnlichkeiten mit Strawinskys C-Dur-Sinfonie wurden bei dieser subtilen Wiedergabe unterstrichen. Die Intervalle der großen Sext und der kleinen Terz innerhalb des Oktavraums passten sich dem harmonischen Geschehen nahtlos an. Auch die Vertauschung als große Terz und kleine Sext führte dabei zu einer weiteren spannenden thematischen Verknüpfung. Die Bauelemente dieses Werkes, nämlich beispielsweise das Intervall der kleinen Sekunde und damit der Halbtonschritt, akzentuierte das Staatsorchester unter Ilan Volkovs Leitung mit facettenreicher Inspiration und starker Ausdruckskraft. Gelegentlich blitzte sogar die aufregende Bitonalität des „Sacre du printemps“ auf, mit dem Strawinsky 1917 so großen Skandal erregte. Ilan Volkov gelang es bei seiner Interpretation jedenfalls plastisch, Strawinskys komplizierte „Konstruktionsgeheimnisse“ zu lüften und ihn als gewieften Tüftler zu präsentieren, der mit rhythmischen Exzessen nur so jonglierte. Man konnte sehr genau verfolgen, wie Strawinsky hier sein Material entwickelte und kunstvoll verarbeitete. Zunächst brachten die Hörner deutlich erkennbar das sehr unkompliziert scheinende Hauptthema um das kleine Intervall der kleinen Terz und jagten es ins Kreuzfeuer der Rhythmen. Sobald dieser Sturm abgeebbt war, festigte sich in den Streichern der D-Dur-Akkord. Das Klavier trat solistisch konzertierend hervor und baute das Material des Hornthemas einfallsreich aus. Sehr gut gelang dem Staatsorchester Stuttgart auch die Wiedergabe des zweiten Satzes, dessen Rossini-Zitat in der Streicherbegleitung ironisch betont wurde. Rhythmische Verschiebungen wurden auch hier sehr gut getroffen. Neben den beiden ausdrucksvollen Flöten imponierte das suggestive Spiel der Harfe, die ihre Akkord- und Melodielinien mit ungewohnter Strenge in das Tongewebe integrierte. Der Liedcharakter dieses Satzes erinnerte an Strawinskys „Apollon musagete“. Bitonal geschärfte Harmonik sowie aus Dur und Moll zusammengeschweisstes Tonmaterial ließen ein nuancenreiches Mosaik entstehen, bei dem das reizvolle Duett der Fagotte hervorstach. Von den Hörnern und Trompeten wurde der dunkle Klang der Fagotte dann kräftig aufgehellt. Ein skurriles Fugato mit Posaune und Klavier führte zum Aufbau der Coda mit schroff-wildem Schlussakkord. Dazwischen sorgte die ebenfalls sehr klar-strukturiert interpretierte Sinfonie Nr. 25 in g-Moll KV 183 von Wolfgang Amadeus Mozart für erfrischende Abwechslung. Schwermütig und voll dunkler Leidenschaft behaupteten sich die Klänge, aber auch die rhythmischen Finessen kamen nie zu kurz. Vor allem die Synkopen und kraftvollen Akzente des ersten Satzes gewannen immer stärkere Intensität. An einen graziösen höfischen Tanz gemahnte das Menuett – und auch der dramatische Charakter der Sinfonie beim Einsatz von vier Hörnern ging nicht unter. Nur der melodische Fluss hätte bei der einen oder anderen Passage noch rasanter und geschmeidiger sein können.
Nathanael Carré, der erste Flötist des Staatsorchesters Stuttgart, war der überaus brillante Solist in Carl Philipp Emanuel Bachs Konzert für Flöte, Streicher und Cembalo in d-Moll. Die Zwischenstufen vom fridericianischen Rokoko bis hin zur Klassik und den Sturm und Drang wurden von diesem besonders begabten Querflötisten effektvoll ausgereizt. Galante harmonische Querverbindungen machte das dezent musizierende Staatsorchester Stuttgart unter der sensiblen Leitung von Ilan Volkov gut deutlich. Vor allem die energische Motorik des ersten Satzes unterstrich der aus Frankreich stammende Nathanael Carré auf seinem Instument vorzüglich. Der Charakter barocker Concerti machte sich bemerkbar, während im Mittelsatz Haydn und Mozart grüßen ließen. Arabesken und Girlanden sprudelten bei Nathanael Carrés Wiedergabe nur so hervor. Dass gerade Carl Philipp Emanuel Bach einen melodisch-gefälligeren Tonfall besitzt wie etwa sein Vater Johann Sebastian, ließ der Dirigent Ilan Volkov zusammen mit Nathanael Carre deutlich werden. Farbnuancen und rhythmisch profilierte Einwürfe akzentuierte der Flötist ausgezeichnet.
Alexander Walther