2.Sinfoniekonzert des Staatsorchesters mit Boulez und Bruckner am 8. 12. 2024 in der Liederhalle/STUTTGART
Grandiose Wucht
Cornelius Meister. Foto: Sebastian Mars
Bruckner und Boulez standen diesmal im Zentrum des Staatsorchesterkonzerts unter der souveränen Leitung von Cornelius Meister. Zunächst waren die zuerst für Klavier geschriebenen „Notations“ für großes Orchester von Pierre Boulez zu hören. Bei diesem Werk spielen die Instrumente jeweils unterschiedliche Passagen, was zur komplizierten Struktur wesentlich beiträgt. In dieser subtilen Wiedergabe wuchsen die einzelnen Sätze „Modere – Fantasque“, „Hieratique – Lent“, „Rhythmique“, „Tres modere“ sowie „Tres vif. Strident“ ganz zusammen. Das Zwölftongerüst brach zwar nie auseinander, ließ aber immer wieder thematische Vielfalt zu. Chromatische Wucherungen und ungeheure Intervallspannungen schufen dabei wiederholt spannende dynamische Kontraste, die Meister mit dem Staatsorchester Stuttgart ganz bewusst auslotete. Der improvisatorische Charakter des „Fantasque“ stach in charakteristischer Weise hervor, „Hieratique“ erinnerte stark an asiatische Musik. Es soll ein Klagelied über einen Ertrinkenden sein, sagt Boulez. Bei „Rhythmique“ sind alle zwölf Tonhöhen in reizvoller Weise fixiert, was Meister mit dem Staatsorchester suggestiv betonte. Die dynamische Intensität steigerte sich hier ungemein, auch die Ostinato-Figur bestach mit klarer Kontur. Bei „Tres modere“ und „Tres vif“ fallen neben der musikalischen Zeit die unregelmäßige Rhythmik sowie die ausgefeilte Phrasengestaltung besonders auf. Cornelius Meister achtete bei seiner konzentrierten Interpretation immer wieder auf ein flexibles Tempo. Das Verknüpfen von Klangabschnitten und das Signalisieren spontaner akustischer Entscheidungen an Knotenpunkten gelang hervorragend. Die Fülle der Rhythmik explodierte förmlich.
Dann folgte eine wuchtige Wiedergabe der achten Sinfonie in c-Moll von Anton Bruckner in der anerkannten Fassung von 1890. Der Inhalt des monumentalen Werks wirkte hier tief und reich. Der riesig geweitete formale Aufbau geriet nie aus den Fugen. Aus wesenlosem Dunkel hoben im ersten Satz Allegro moderato die tiefen Streicher das düster-ernste, drängende Hauptthema in die Höhe. Der Brucknersche Fünfer-Rhythmus machte sich dabei bemerkbar. Lichte Trostverheißung spendeten die Holzbläser. Sein Rhythmus trieb auch das dritte Thema deutlich voran, dessen Triolen-Begleitung in der Folge über die beunruhigenden Oberstimmen triumphierte. Der Kampf wilder Mächte machte sich bemerkbar. Die Oboe versuchte in der Reprise das Kopfthema für eine Wende zum Guten zu gewinnen, doch es gab keinen Ausweg aus der Düsternis. Die resignierte Klage in dumpfer Gedrücktheit setzte sich durch. Bissiger Trotz beherrschte das anschließende Scherzo Allegro moderato, das laut Bruckner ironisch auf den „deutschen Michel“ anspielt. Der Rhythmus des Themas, das im dritten Takt ansetzte, geriet hier rasch in Fluss. Seine draufgängerische Starrköpfigkeit behauptete sich gegen alles turbulente Treiben. Auch die schmeichlerische Geigenmelodie des Trio mit den Klangpoesien von Hörnern und Harfe beschwor ein echtes Naturidyll. Spirituelle Versunkenheit beherrschte das Adagio, dessen gewaltige Steigerungen Cornelius Meister mit dem Staatsorchester klug aufbaute. Diese Interpretation hinterließ hier sogar noch einen stärkeren Eindruck als der Satz zuvor. Der Gesang schwang sich wie auf Engelsflügeln auf. Zweimal strahlte diese Vision verheißungsvoll auf und verblasste in wogenden Harfenklängen. Der Tubenchoral überwältigte mit mystischer Weihe. Mit neuer Kraft eilte das Finale heran. Ein hart klopfender Rhythmus machte Platz für das majestätische Hauptthema der Blechbläser. Eine siegessichere Trompetenfanfare zerschnitt elektrisierend die Luft. In Fortspinnungem, Nachsätzen und Fanfaren entfalteten sich ungeheure Energien, die Meister präzis bündelte. Ein Choral forderte den Beistand des Himmels. Die grandiose Durchführung erschien mit drohenden Blechbläsern, die den scharf gezackten Rhythmus des Hauptthemas aus dem ersten Satz zitierten. Verwegenste Künste des Kontrapunkts kulminierten bei dieser Wiedergabe in immer bombastischeren Ausbrüchen. In Trompeten und Posaunen erklang das Kopfthema des ersten Satzes machtvoll. Ströme von Licht beleuchteten die Coda, wo die Hauptthemen aller vier Sätze erstrahlten.
Anhaltende Stille, dann Jubel und „Bravo“-Rufe.
Alexander Walther