- Sinfoniekonzert des Staatsorchesters Stuttgart unter Sylvain Cambreling in der Liederhalle/STUTTGART am 26.10.2025
Mit Glut und Leidenschaft

Staatsorchester Stuttgart. Copyright: Matthias Baus
Viel Temperament brachte der frühere Generalmusikdirektor der Staatsoper Stuttgart, Sylvain Cambreling, bei seinem Gastdirigat beim Staatsorchester Stuttgart mit. Dies zeigte sich schon beim Konzertstück in F-Dur für vier Hörner und Orchester op. 86 von Robert Schumann, das dieser im Jahre 1849 schrieb. Pablo Neva Collazo, Fabian Schröder, Christina Heckmann und Martin Grom (Hörner) musizierten zusammen mit dem Staatsorchester Stuttgart unter Cambreling wie aus einem Guss. Da blühten die Kantilenen leidenschaftlich auf. Gleichzeitig blitzt hier die barocke Tradition des Concerto grosso immer wieder in erfrischender Weise hervor. Das erste Horn übernahm bei der gelungenen Aufführung in der Liederhalle forsch die Führungsrolle – und nach zwei eröffnenden Akkordschlägen des Orchesters erklang das fanfarenartige Triolen-Motiv sehr erfrischend. Auch der kantable Seitensatz stach reizvoll hervor. Die leidenschaftliche Bewegung der Violoncelli und die chromatischen Passagen des Ventilhorns im zweiten Romanzen-Satz prägten sich ebenfalls tief ein. Die Trompeten-Fanfare leitete zum letzten Satz über, dessen reiches thematisches Material geradezu aufblühte.
Sehr interessant war auch die Begegnung mit der Orchestersuite „Erdbeben, Träume“ aus den Jahren 2020 und 2023 von Toshio Hosokawa. Das Werk geht auf Heinrich von Kleists Novelle „Das Erdbeben von Chili“ zurück, die der Schriftsteller Marcel Bayer mit seinem Libretto in einen Albtraum verwandelte. Im Zentrum steht dabei der unehelich gezeugte Sohn Philipp. Seine Eltern Josephe und Jeronimo werden bei Kleist als Sünder dargestellt. Ein verheerendes Erdbeben verhindert jedoch die Vollstreckung des Todesurteils und beide können fliehen. Mit dem Erdbeben bricht jedoch eine Massenpanik aus, bei der Philipps Eltern getötet werden. Philipp überlebt den Gewaltausbruch. In Hosokawas Oper „Erdbeben. Träume“ dominieren die suggestiven Traumbilder. Dynamische Differenzierungen der Streicher und Bläser mit ausdrucksvollen Tremolo-Passagen der Violinen und sich ständig steigernde Crescendo-Sequenzen des Schlagzeugs hinterließen bei den Zuhörern im Beethovensaal einen starken Eindruck. Das Erdbeben von Fukushima im Jahr 2011 hat bei dieser Komposition auch eine Rolle gespielt. Zum Abschluss riss die temperamentvolle Wiedergabe der Sinfonie Nr. 4 in f-Moll op. 56 von Peter Tschaikowsky das Publikum ganz unmittelbar mit. Tschaikowsky hat dieses Werk seiner Gönnerin Frau von Meck gewidmet. Pathetische und dramatische Eingebungen arbeitete Sylvain Cambreling mit dem Staatsorchester Stuttgart hervorragend heraus. Die Einleitung ließ den Haupteinfall hell hervorleuchten. Schicksalsgewalt brach sich nicht nur in den Blechbläsern mit eherner Macht Bahn! Das untröstliche Gefühl wurde hier immer stärker. Der Wechsel von flüchtigen Visionen und freundvollen Träumereien hinterließ einen starken Eindruck. Und die zweite Themengruppe wurde durch leicht dahingleitende Läufe der Holzbläser eingeleitet. Die zarte Streichermelodie bildete hier einen sanften Gegensatz. Die Phase der Sehnsucht beherrschte den zweiten Satz, dessen dynamische Schattierungen überzeugend herausragten. Dabei beeindruckte der F-Dur-Kontrast. Das Scherzo mit dem Pizzicato der Streichinstrumente kam mit schwebender Leichtigkeit daher. Darauf folgte der von Bläsern und Pauken dezent gestaltete Mittelteil. Die Pikkoloflöte setzte dann groteske Lichter über die Szene. Mendelssohn und Berlioz ließen in geheimnisvoller Weise grüßen. Beim Finale in F-Dur drehte Cambreling mit dem fulminant musizierenden Staatsorchester Stuttgart noch einmal voll auf! Auf die furiose Einleitung über einem Hörner-Ostinato folgte eine melancholische russische Volksmelodie in den Holzbläsern. Und die Coda geriet geradezu überwältigend-orgiastisch. Zum Glück fehlte hier bloße Äusserlichkeit. Bassposaune, Tuba, Pauken, große Trommel, Triangel und Becken gingen gewaltig in die Tiefe.
Jubel im Beethovensaal.
Alexander Walther

