Stuttgart/ Liederhalle: 1. Kammerkonzert des Staatsorchesters Stuttgart am 19.10.2022 im Mozartsaal der Liederhalle/STUTTGART
Ergreifender Abgesang
Dieses erste Kammerkonzert des Staatsorchesters stand unter dem Motto „Abschied und Neubeginn“. Mit dynamisch differenziert dargebotenen Auszügen aus den Acht Stücken für Klarinette, Viola und Klavier op. 83 von Max Bruch zeigten Frank Bunselmeyer (Klarinette), Almut Lucia Beyer (Viola) und Rita Kaufmann (Klavier) die klangfarbenreichen Vorzüge der differenzierten Instrumentation dieses Komponisten. Vor allem das reiche thematische Material blühte hier in geradezu erfrischender Weise auf. Eine positive Überraschung war auch das Quartett für Klarinette und Streichtrio aus dem Jahr 1993 von Krzysztof Penderecki, wo Frank Bunselmeyer (Klarinette), Muriel Bardon (Violine), Almut Lucia Beyer (Viola) und Doris Erdmann (Violoncello) die hohen Flageoletttöne der Violine und die Pizzicati der Bratsche sowie das übrige harmonische Gewebe sehr präzis unterstrichen. Die melancholische Gefühlswelt erinnerte hier zuweilen an Schubert, wobei Penderecki betonte, dass er bewusst traurige Musik geschrieben habe.
Pawel Konik (Bariton), Kathrin Scheytt (Violine), Olivier Marger (Violoncello) und Rita Kaufmann (Klavier) beschrieben sehr einfühlsam bei den „Liedern eines fahrenden Gesellen“ von Gustav Mahler einen armen Gesellen, der seine Liebste verloren hat und ruhelos auf Wanderschaft ist. Tonfall, Rhythmus und Wortwahl des alten Volkslieds stachen eindrucksvoll hervor. Traumbilder, Schrecknisse und Schmerzen führten zu bewegenden klanglichen Höhepunkten mit ergreifenden gesanglichen Kantilenen. Der Tonfall von einst schien hier wiedergefunden worden zu sein. Auch die pulsierenden Viertel im zweiten Lied „Ging heut morgen über’s Feld“ prägten sich dank der reichen Charakterisierungskunst Pawel Koniks tief ein. Bei „Die zwei blauen Augen“ gelang Pawel Konik ein ergreifender Abgesang im Stil eines Trauermarschs. Diese Fassung für Bariton und Klaviertrio schrieb Georg Oyen 2019.
Zum Abschluss erklang Robert Schumanns Klavierquintett Es-Dur op. 44. Tschaikowsky fand, dass der zweite Satz „eine ganze Tragödie“ darstelle. Diesen Eindruck gewann man auch bei diesem Kammerkonzert. Und die ausdrucksvollen Musiker Nicola Lolli (Violine), Kirsten Frantz (Violine), Madeleine Przybyl (Viola), Olivier Marger (Violoncello) und Eva Llorente Diaz (Klavier) interpretierten gleich den ersten Satz mit seinen Sept- und Sextsprüngen feurig und impulsiv. Die aus dem ersten Thema kunstvoll abgeleitete Melodie führte in einfühlsamer Weise zum lyrischen Thema des Klaviers mit dem Quintfall. Der leeren Quinte folgte das Leidensmotiv in bewegender Weise. Reprise und Coda besaßen großen formalen Zugriff. Als Herzstück erschien der zweite Satz mit seinem düsteren Schreitthema. Das oft wiederholte Kopfmotiv besaß bei dieser Wiedergabe geradezu bohrende Intensität. Über gebrochenen Akkorden erklang markant das Marcia-Motiv. Die aufwärtsführenden Tonleitern des dritten Scherzo-Satzes besaßen leuchtkräftigen Esprit und inneres Feuer. Das doppelte Quintmotiv prägte sich wieder besonders stark ein. Und das Hauptthema des Finales besaß starke Leuchtkraft, deren Intensität nicht nachließ. Die Erinnerung an den doppelten Quintfall aus dem ersten Trio und die Metamorphose des Trauermarsches überzeugten die Zuhörer aufgrund der eindringlichen klanglichen Gestaltung. Der rhythmische Tanzcharakter wurde ebenso plastisch herausgearbeitet wie das kontrapunktisch reiche Fugato.
Begeisterter Schlussapplaus.
Alexander Walther