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STUTTGART: LES CONTES D’HOFFMANN – Surrealismus mit Fernbedienung. Premiere

20.03.2016 | Oper

Stuttgart: „LES CONTES D’HOFFMANN“ 19.3.2016 (Premiere) – Surrealismus mit Fernbedienung

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Copyright: A.T.Schaefer

Die spannendste Frage bei einer Aufführung von Jacques Offenbachs unvollendeter Oper richtet sich auf die Wahl einer musikalischen Fassung, sofern bei der unentwirrbaren Entstehung des Werkes als auch den weiteren wissenschaftlichen Studien anhand von in den letzten 40 Jahren aufgetauchten Schriften und Skizzen überhaupt von konkreten Versionen gesprochen werden kann. Kaum eine Erarbeitung gleicht den anderen, jeder Dirigent versucht die seiner Meinung nach idiomatischste Form zu finden und mit den Absichten des jeweiligen Regisseurs auf einen interpretatorischen Nenner zu bringen. Die größten Abweichungen betreffen vor allem den nicht vollendeten Giulietta-Akt, die Hoffmann begleitende Doppelrolle des Niklaus und der Muse sowie die Auswahl der von Ernest Guiraud konzipierten Rezitative, die sich für die Theaterpraxis, zumindest außerhalb Frankreichs, als zugänglicher und unproblematischer gegenüber der dialogischen Opera-Comique-Anlage erwiesen haben.

Stuttgarts Generalmusikdirektor Sylvain Cambreling hat sich nach eingängigem Quellenstudium für eine möglichst nahe dem Original-Libretto von Jules Barbier folgende Form unter weitgehender Berücksichtigung der maßgeblich gewordenen Fassung von Fritz Oeser für die ersten beiden Akte, sowie einiger Einfügungen aus der Urfassung mit teilweiser musikalischer Verwendung aus anderen Werken entschieden. Unangetastet blieb von jeher der in sich geschlossene Antonia-Akt. Die meisten Abweichungen betreffen den fragmentarischen Giulietta-Teil, wo Cambreling die berühmte Diamanten-Arie berücksichtigt, auf das ohnehin später willkürlich eingefügte Sextett verzichtet, und das große Duett zwischen Hoffmann und der Kurtisane, an dessen Höhepunkt sie sich seines Spiegelbilds bemächtigt, ans Ende als direkte finale Überleitung zum Epilog stellt. Die aufgrund der erwähnten zahlreichen neuen Erkenntnisse enorm aufgewertete Partie der Muse kommt auch hier voll zum Tragen und führt das so zerklüftete Werk mit dem nachdenklich berührenden Motiv aus Offenbachs „Rheinnixen“ apotheosengleich zu einem würdigen, künstlerischen Mut für den Dichter nährenden Ausgang.

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Marc Laho (Hoffmann), Mandy Fredrichs (Antonia). Copyright: A.T.Schaefer

Den unterschiedlichen stilistischen Ausprägungen der Frauen-Episoden begegnet der Dirigent mit wechselndem Geschick. Setzt er in den couplet-artigen und liedhaften Teilen auf Transparenz, auf feine rhythmische Betonungen und eine generell leichte Gangart, so lädt er die an die deutsche Romantik gemahnenden, teilweise Wagner ironisierenden Abschnitte mit symphonischer Großzügigkeit und leider die Sänger etwas in den Hintergrund drängender Lautstärke auf. Da bleibt das Spiel des überwiegend gut disponierten Staatsorchesters Stuttgart phasenweise im Diffusen dichter Instrumentation und schneller Tonartenwechsel hängen. Dennoch ist keiner der Beteiligten zum Forcieren gezwungen, können sich alle in ihren Rollen behaupten, es sei denn, die Inszenierung positioniert die oder den einen mal mehr oder weniger vorteilhaft im hinteren Bereich des wandelbaren Bühnenraumes. Diesen hat Anna Viebrock dem Circulo de Bellas Artes in Madrid nachempfunden, wo die mit dem dortigen Teatro Real Madrid koproduzierte Inszenierung, ebenfalls mit Cambreling am Pult, im Frühjahr 2014 Premiere hatte und nun ihre Stuttgarter Premiere feierte. Die verschiedene Kunstformen in ihren Entstehungsphasen unter einem Dach zusammenführende private Kultur-Institution diente dem Regisseur Christoph Marthaler als Inspiration. Vor allem in der von André Breton in einem Manifest begründeten Geisteshaltung des Surrealismus, die Kunst und Leben auf einer Ebene vereint, Traum und Wirklichkeit als nicht trennbare Metaphern begreift und zur Überforderung führt, sieht der Schweizer deutliche Parallelen zu Hoffmanns Krise zwischen Kunst und Liebe. In einem daraus entstehenden Tagtraum tauchen in seiner Phantasie surreale Gestalten wie Akt sitzende oder stehende Frauen und sich bizarr verrenkende Gestalten auf, die sowohl die Rahmenhandlung als auch die erzählten Geschichten in einer beliebigen Art Choreographie von Altea Garrido durchqueren. Die Portugiesin tritt schließlich auch als Stella selbst in Erscheinung, die Hoffmanns Desinteresse für den eingeschobenen Vortrag einer kultus-politischen Anklage Fernando Pessoas in ihrer Muttersprache nutzt. Trotz aller inhaltlichen Bezüge zum Stück und als Unterbrechung des ohnehin bruchstückhaften Epilogs bleibt dieser Eingriff ein Fremdkörper in diesem Opern-Torso. Auch die erwähnten, mit Tänzern und Statisten besetzten Gestalten sind nur so weit tragbar, als sie nicht von den Hauptcharakteren ablenken. Ausgerechnet der Mittelpunkt Hoffmann ist davon am meisten betroffen, was zum Teil aber auch an der etwas blassen, kaum dem Typ eines Frauenverführers entsprechenden Persönlichkeit von Marc Laho liegen mag. Den schnell zur Flasche greifenden Künstler verkörpert er dagegen mit einer durchgehend stoischen Haltung, zu der wiederum auch sein auf Dauer dynamisch einsilbiger tenoraler Einsatz passt. Die Stimme selbst ist von angenehmer heller Färbung, pointiert in der Deklamation, im Grundcharakter lyrisch und dennoch kraftvoll, aber ohne den geringsten Druck in den unbequem hoch liegenden Phasen wie auch in den attackierend geforderten Spitzen. Die bei aller Liebessehnsucht herrschende Beziehungslosigkeit zu seinen drei phantasierten Frauen macht die Regie in gleichgültigen Gängen durch den Raum deutlich. Jede der drei ist im Einheitsbühnenraum, einer Mischung aus Zeichensaal, Museum, Kino mit Bar, durch ein Ausstattungselement vertreten: Olympia in einer Art beweglicher Litfaßsäule, Antonia mit einem kleinen, bühnenartig erhöhten Podest und Giulietta in Form von Billardtischen. In einen der letzteren stößt Hoffmann seinen zuerst mit einer Flasche erschlagenen Kontrahenten Schlemihl, in einem anderen lässt die Muse Hoffmanns geleerte Flaschen verschwinden, in der geäußerten Hoffnung, die Asche seiner gescheiterten Leidenschaften möge das künstlerische Schaffen in ihm neu entfachen.

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Roland Bracht (Luther), Alex Esposito (Lindorf). Copyright: A.T.Schaefer

Alle drei Damen übertrafen ihn an gesamtheitlicher Präsenz und damit auch in der Publikumsgunst. Ana Durlovski bot als naives Mädchen im rot-weißen Karomuster-Dirndlkleid und mit glaubhaft imitierter puppengleich gesteuerter Bewegung eine köstliche Olympia, die in ihrer Arie mit spielend leicht und raffiniert eingesetztem Extremregister ein Koloraturf-Feuerwerk par excellence bietet. Mandy Fredrichs Antonia fehlt außer einem markanteren Timbre ihres klangvollen, in allen Lagen stabilen Soprans nichts für die teils blühenden, teils melancholisch umwehten Gesänge der Künstlerin. Simone Schneider wiederum füllt die Giulietta im schwierigen Grenzbereich von Sopran und Mezzo mit üppiger Mittellage und strahlenden Höhen sowie der sinnlich verlockenden Note einer Verführerin aus. Aber auch Hoffmanns böser Gegenspieler in viererlei Gestalt als Rat Lindorf, Optiker Coppelius, Doktor Mirakel und Kapitän Dapertutto steckt ihn locker in die Tasche – so wie ihn Alex Esposito mit der ausdrucksstarken Dämonie eines Drahtziehers gibt, der keiner speziellen Maske oder Gewandung bedarf. Eine schwarze Lederjacke und dicke Brillengläser genügen ihm, den Rest besorgt sein fest verankerter, sowohl sämiger als auch mit Biss eingesetzter Baß-Bariton mit kerniger Höhe, so dass der „scientille diamant“ neben Olympias Präsentation zum würdevollen solistischen Glanzpunkt wird.

Im großen Ensemble beeindruckt vor allem der auch in der Spätphase seiner Laufbahn ungebrochen faszinierend erzene Bass von Roland Bracht, mit dem er den Sorgen und Ängsten des Geigenbauers Crespel um seine Tochter Antonia erschütternde Dringlichkeit verleiht und nebenbei in den Rahmenakten noch den Kellermeister Luther ausfüllt. Maria Theresa Ullrich tritt als tote Mutter in schwarz und mit vorgehaltenem Notenblatt leibhaftig in Erscheinung und ergänzt das bis zum Exitus der Tochter gesteigerte Terzett mit klangvoller Mezzo-Emphase. In den Episodenrollen der Studenten vertreten Thomas Elwin als Nathanael mit qualitätvollem lyrischem Tenor, Dominic Grosse als Hermann mit präsentem Bariton und Eric Ander als Schlemihl mit klarem Bass das Opernstudio des Hauses auf engagierte Weise. Nur Torsten Hofmanns Dienerpartien, in erster Linie die großzügiger bedachte des Franz, leiden etwas unter der regielichen Gleichgültigkeit, so dass das sonst so komisch zugespitzte Couplet über sein Diener-Dasein auch aufgrund seines etwas braven (Charakter)Tenors allzu glatt daherkommt. Abgesehen von einer etwas schmalen Mittellage hatte Sophie Marilley für Hoffmanns Doppel-Begleitung sowohl die Einfühlsamkeit als auch die (Höhen)-Emphase, um den Reiz der auch sprachlich differenziert angelegten Couplets voll zur Geltung kommen zu lassen. Darüber hinaus ist sie eine gewohnt engagierte, beweglich expressive Gestalterin.

Gelenkt wurde das ganze Geschehen von Physikus Dr. Spalanzani, dessen Versuchen auch der im Olympia-Akt marionettengleich agierende, sonst eher zur Zurückhaltung auferlegte Staatsopernchor (Einstudierung: Christoph Heil) gehorchte. Der bereits bei den Madrider Aufführungen dabei gewesene Schauspieler Graham F.Valentine war denn mit seiner pointierten, aber unter vokalen Gesichtspunkten zu krähenden Stimme eine grenzwertige Wahl – jedoch ohne Zweifel eine markante Erscheinung. Vor dem Einsetzen der Musik führte er eine Besuchergruppe durch den Saal, im weiteren Verlauf steuerte er mit Fernbedienung auch das Licht sowie das Fallen des Schlussvorhanges.

An der zeitlich unaufdringlich aktualisierten und durch viele Phantasie-Fremdkörper phasenweise etwas konfusen Inszenierung schien sich das Publikum weder zu reiben noch für das ungewöhnliche Gesamtkonzept zu enthusiasmieren. Die Begeisterung richtete sich deutlich genug auf die musikalische Wiedergabe, insbesondere die Damen und die Inkarnation des Bösen.

 Udo Klebes

 

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