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STUTTGART: LA TRAVIATA. Wiederaufnahme der Berghaus-Inszenierung

24.09.2019 | Oper


Elena Tsalagova. Foto: Martin Sigmund/Staatsoper Stuttgart

Verdis „La Traviata“ am 23.9.2019 in der Staatsoper/STUTTGART

EINE SEELISCHE BAUSTELLE

In der Regie von Ruth Berghaus werden die hellen und dunklen Momente dieses subtilen Seelendramas herausgestellt (Bühne: Erich Wonder; Kostüme: Marie-Luise Strandt; szenische Leitung der Wiederaufnahme: Lars Franke).

Die Pariser Kurtisane Violetta liebt Alfredo und wird von diesem wiedergebliebt. Seine Schwester soll heiraten – nur geht dies erst, wenn sich Alfredo von Violetta trennt. Die Todkranke gibt auf Drängen des Vaters den Geliebten auf und begräbt ihren Traum. Die Handlung beginnt in einem Salon und endet in einem unterirdischen Gewölbe, das wie ein Labyrinth wirkt. Vor allem die seelischen Vorgänge werden bei dieser ungewöhnlichen Sichtweise nicht außer Acht gelassen. Alfredo wird von der Gesellschaft geächtet, als er Violetta öffentlich Vorwürfe macht. Das Ganze endet dann jedoch als intimes Kammerspiel, denn zum Schluss kommt sich das Liebespaar bei dieser Inszenierung noch einmal ganz nah.

Stellenweise hätte man sich zuweilen eine noch subtilere Personenführung gewünscht, doch die Handlung besitzt eine konsequente Struktur. Dies betrifft auch die packenden Szenen zwischen Alfredo und seinem Vater, einem plötzlich aufbrechenden Generationenkonflikt. Die sphärenhaft-leichte Tönung dieser Musik wird von Friedrich Haider zusammen mit dem Staatsorchester Stuttgart in bemerkenswerter Weise betont. Sogar impressionistische Momente werden nicht verleugnet. Reichen Ensembleszenen stehen fast zarte Stimmungsbilder gegenüber, die sich immer wieder in reizvoller Weise ergänzen. Dabei kann sich vor allem auch der Staatsopernchor Stuttgart in der subtilen Einstudierung von Manuel Pujol profilieren. Die Orchestervorspiele zum ersten und dritten Aufzug besitzen unter Haiders Leitung etwas Überirdisch-Magisches – und das Staatsorchester musiziert immer wieder mit einer geradezu betörenden Leichtigkeit und Nonchalance. Violettas Schicksalsmotiv und Alfredos Liebesmotiv bestechen zum einen durch ihre biegsamen Kantilenen, aber auch durch ihr untrügliches Gespür für starke emotionale Ausbrüche. Erfahrungen und Sehnsüchte blühen bei dieser Wiedergabe regelrecht auf, was vor allem Elena Tsallagova als Violetta Valery überzeugend zu Gehör bringt.

Pavel Valuzhin als Alfredo vermag seine emotionalen Ausbrüche effektvoll zu bündeln. So beeindrucken Wort- und Tonseele gerade bei den Parlandoszenen sehr stark. Die leidenschaftlichen Elemente dieser Partitur werden immer wieder minuziös ausgekostet. Friedrich Haider besitzt auch ein feines Gespür für die pathetischen Melodien wie „Amami, Alfredo“, „Cosi alla misera“ oder „Addio, del passato“. Insbesondere Alfredos Trinklied im ersten Akt als auch der Chor der Zigeunerinnen „Noi siamo zingarelle“ im zweiten Akt beweisen die harmonische und rhythmische Faszination dieser Musik. In weiteren Partien überzeugen Ida Ränzlöv als Flora Bervoix, Alexandra Urquiola als Annina und insbesondere der stimmgewaltige Luis Cansino als Alfredos Vater Giorgio Germont. Auch Visconte Di Letorieres, Il Barone Douphol, Il Marchese d’Obigny und Dottore Grenvil sind mit Elmar Gilbertsson, Elliott Carlton Hines, Andrew Bogard und Jasper Leever sehr passabel besetzt.

Im Mittelpunkt dieser guten Aufführung steht aber in jedem Fall Elena Tsallagova als Violetta. Sie vermag das psychologische Drama wirklich fesselnd zu bündeln und steigert sich immer mehr in ihre Verzweiflung hinein. Aus dem schlichten Rezitativvers entwickelt sich so die Tragödie, das kommt bei Friedrich Haiders Interpretation ausgezeichnet zur Geltung. Die einfache, diatonisch absteigende, viertaktige Melodielinie (die von der Tonika in die Dominante führt) wird dabei in einer rhythmischen Modifikation wiederholt. Wie das rascher werdende Deklamationstempo Violettas Anspannung verrät, lässt Elena Tsallagova hervorragend deutlich werden. Dabei steigert sich auch ihr Stimmvolumen während dieser Aufführung ganz erheblich. Ist zunächst das Timbre ihrer Mittellage sehr voluminös und geschmeidig, beeindrucken dann zuletzt auch die Spitzentöne durch glockenreine Intonation und die berückende Leuchtkraft der Koloraturen. Ovationen.

Alexander Walther

 

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