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STUTTGART/ Kammertheater: ZAL’OT von Luda Tymoshenko mit dem Malyi Teatr Kiew

06.06.2022 | Theater

Uraufführung „Zal’ot“ von Luda Tymoshenko mit dem Malyi Teatr Kiew am 5.6.2022 im Kammertheater/STUTTGART

Psychogramm vom Erwachsenwerden

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Copyright: Malyi Teatr Kiew

 Schon im Februar sollte diese Uraufführung in Kiew gezeigt werden, doch wegen des Krieges in der Ukraine war dort keine Aufführung möglich. So ist es jetzt zu dieser Exil-Premiere gekommen. Dieses Luftfahrtdrama nach dem Stück „Onkel Mischa geht vorbei“ der ukrainischen Dramatikerin Luda Tymoshenko beleuchtet die psychologische Situation der Menschen untereinander mit der Lupe. Dabei besitzt der Text auch sehr viel Poesie und Einfühlungsvermögen.

In der originellen Inszenierung von Yurii Radionov (Bühne und Kostüme: Yulia Zaulichna) wird hier eine abwechslungsreiche Geschichte vom Erwachsenwerden in der post-sowjetischen Ukraine der 1990-er Jahre erzählt. Der Titel betrachtet die Unaufmerksamkeit, in eine unangenehme Situation zu geraten. Er bezieht sich auf das ukrainische Wort „litaty“, was „fliegen“ bedeutet. Die junge Lida träumt vom Fliegen. Man sieht auch immer wieder ein kleines Flugzeug an der Wand hängen. Sie will in die Fußstapfen ihres Onkels treten, der ein internationaler Pilot ist. Sie möchte nach ihrem Schulabschluss eine Ausbildung zur Flugbegleiterin machen.  Doch plötzlich erfährt sie von ihrer Mutter vom Tod des Onkels und alles kommt anders. Zur Sprache kommt dann auch, dass dieser Onkel eine positive Lebenseinstellung hatte. Ein Auto hat ihn überfahren. Zum Glück besitzt Lida gute Freunde, die ihr helfen, den Traum doch noch wahr werden zu lassen. Doch mit ihrer Mutter kommt es wiederholt zu starken Spannungen. Sie verkauft die Diamantohrringe der Großmutter, die eigentlich Lidas Erbstück waren. Der Lehrer Igor möchte unbedingt sehen, wie sie in der Uniform einer Flugbegleiterin aussieht. Er hat sich zunächst als Stimme aus dem Off gemeldet und betritt dann aus einem rötlichen Türrahmen heraus den Raum. Da er sie zwingt, die Kleidung anzuziehen, bricht sie in Tränen aus und gerät in eine seelische Krise. Der Lehrer ist respektlos, bezeichnet sie als „kleine Hure“. Die Frage steht jetzt im Raum, in welcher Währung sie für ihren Traum bezahlen muss.

Wegen dieser Situation gewinnt die Aufführung an Spannung. Lida kann sich aus den Fängen des seltsamen Pädagogen befreien und kehrt wieder zu ihrem Freund und ihrer Mutter zurück, die ebenfalls als Nachhilfelehrerin gearbeitet hat. Die Mutter möchte allerdings keine weitere Stelle annehmen und bleibt lieber arbeitslos. Die wandlungsfähigen Darsteller Khrystyna Deilyk als Lida, Larysa Sheloumova, Adriana Metelska, Stanislav Veselskyi, Iryna Nakonechna und Sergiy Radchenko lassen die beengte Welt und die seelischen Zwänge der handelnden Protagonisten teilweise drastisch und eindringlich deutlich werden. Die subtile Choreografie von Lydia Soklakova belebt das szenische Geschehen immer wieder in erheblicher Weise. Lidas Freund möchte sich zuletzt mit ihr an der Philosophischen Fakultät der Universität einschreiben lassen. Und da erscheint der seltsame Lehrer  wieder, erhebt plötzlich kollektiv einen Besitzanspruch über die gesamte Gruppe, ja über den gesamten Zuschauerraum.

Es ist die satirische Ironie, die bei dieser Uraufführung hervorsticht und den Zuschauer trotz mancher tragischer Ereignisse schmunzeln lässt. Der Lebenssinn wird konsequent hinterfragt. Die Aufführung erfolgte in Zusammenarbeit mit der Akademie Schloss Solitude in ukrainischer Sprache mit deutschen Übertiteln.

Zuletzt wurde bei freiem Eintritt zu Spenden für die Ukraine aufgerufen. Das Publikum applaudierte begeistert.

Alexander Walther

 

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