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STUTTGART/ Kammertheater: THE CLICKWORKERS als Projekt 4 des Europa Ensembles

Leiden unter Leistungsdruck

08.03.2020 | Theater


Foto: Björn Klein

Uraufführung „The Clickworkers“ als Projekt 4 des Europa Ensembles am 7. März 2020 im Kammerthater/STUTTGART

Leiden unter Leistungsdruck

 In der subtilen Inszenierung von Selma Spahic lässt sich gut nachvollziehen, unter welchen Belastungen sechs junge Menschen leben, die für ein ökologisch wegweisendes Projekt rekrutiert werden. Bühne und Kostüme von Selena Orb beschreiben einen tristen und düsteren Büro-Raum, in dem die jungen Leute pausenlos am Computer sitzen und dementsprechend ausgenutzt werden. Das Gehalt befindet sich knapp unter dem Mindestlohn und die ausufernden Arbeitszeiten sind ein ebenso großes Problem. Gleichzeitig machen die Darsteller Tenzin Kolsch, Claudia Korneev, Adrian Pezdirc, Jasmina Polak, Andela Ramljak und Jan Sobolewski packend deutlich, dass sie die Zukunft der Arbeit trotz oftmals widriger Umstände nicht missen wollen.

Die Musik von Drasko Adzic unterstreicht passend die unheimliche Atmosphäre, die die Lebensangst dieser noch unerfahrenen jungen Menschen widerspiegelt. Die Opferung des Individuums wird bei dieser Inszenierung trotz mancher szenischen Schwäche sehr gut eingefangen. Da der Leistungsdruck groß ist, kommt es im Büro nur selten zur Gleichberechtigung, obwohl sich alle Mühe geben. Andela kann sich nicht nur wegen dem Essen nur schwer in die Gemeinschaft einfügen: „Ich habe eine Rübenintoleranz.“ Sie möchte die Gruppe verlassen, aber man redet ihr gut zu: „Du bist eine Inspiration für uns alle.“ Andela bestätigt diese Feststellung: „Ich hasse mich…“ Sie möchte aus sich herausgehen und ihre quälende Distanz zur Gruppe überwinden. Aber das fällt ihr schwer. Durch Online-Verkäufe möchte diese seltsame Formation möglichst viel Geld generieren, um es in den Tierschutz zu investieren. Der Begriff der Utopie ist das bestimmende Motiv des Projekts 4 des Europa Ensembles. Es ist eine Koproduktion mit dem Nowy Teatr, Warschau und dem Zagreb Youth Theatre. Man hat darüber nachgedacht, welche Umstände zwei Menschen aus Polen, zwei aus Deutschland und zwei aus Kroatien verbinden und dazu bringen könnten, eine Gemeinschaft zu bilden. Das permanent schlechte Gewissen und die Angst vor dem Wettbwerb schweißt diese Gruppe zusammen, die immer wieder verzweifelt gegen ihr Schicksal anrennt. Rezessionsangst und die Ungewissheit des Übergangs machen sich breit, beunruhigen die Schauspieler. „The Clickworkers“ möchten ein besseres Stückchen Welt aufbauen. Allerdings sollen die Mitarbeiter dafür noch mehr ausgebeutet werden.


Foto: Björn Klein

Das Stück ist betont gesellschaftskritisch, die Heuchelei wird drastisch bloßgestellt. So kommt es schließlich zum Burnout, der alle Mitglieder erfasst.  Der Glaube an Institutionen und Herrschaftsapparate ist erschüttert: „Ich mag Veränderungen nicht.“ Die jungen Leute verwandeln sich plötzlich in Tiere, rennen gegen die Wand, stürzen zu Boden. Resignation macht sich breit, lähmt die Handlung: „Ich bin eine erschöpfte Tochter der Rezession.“ Sie fühlen sich von der Firma nicht mehr gebraucht. „Wir werden alle verbrennen“, befürchten sie. Zuvor hat ein Mitarbeiter auch noch seine Dateien verloren, was ihn in Wut versetzt. Die Kritik am Gesellschaftssystem nimmt in der Inszenierung an Schärfe zu. Hier werden potenzielle Opfertiere auf dem Altar produziert. Zu Beginn befindet man sich noch in einem realistischen Büro, später wird dann zunehmend mit Ereignissen des Horrors gespielt. Zuletzt spürt man, dass eine neue Welt aufgebaut werden soll, obwohl die alte Welt immer noch existiert. Pausenlos werden Immobilien und andere Dinge verkauft und gekauft, wobei die Menschenleben ausgeblendet werden. Liebe, Sex, Trennung, Partys, Freundschaften und Krisen ordnen sich nur noch dem Konsum unter. Die Schauspieler machen bei der Inszenierung immer wieder plastisch deutlich, wie sehr sie unter dieser Situation leiden. Diese Produktion wird durch die Kulturstiftung des Bundes  gefördert. 

Alexander Walther

 

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