Benjamin Pauquet, Sebastian Röhrle. Foto: Björn Klein.
STUTTGART/ Kammertheater: Premiere von „THADDÄUS TROLL“ von Gernot Grünewald am 4.5.2019 im Kammertheater/STUTTGART
Die Schwaben und der Sex
Der Regisseur Gernot Grünewald hat hier der Zerrissenheit des schwäbischen Schriftstellers Thaddäus Troll nachgespürt, der eigentlich Hans Bayer hieß. 1980 nimmt sich Troll das Leben. Schon zuvor hatten ihn Depressionen gequält. Offensichtlich hat ihn der Krieg nie losgelassen, er war Kriegsberichterstatter im Zweiten Weltkrieg. Und das Kriegende hat er als zweite Geburt beschrieben. Ende der 60er-Jahre gelingt dem Autor mit „Deutschland deine Schwaben“ ein großer Erfolg. Der Mensch hinter diesem Pseudonym tritt inzwischen als Theaterkritiker und leidenschaftlicher SPD-Wahlkämpfer auf. Zudem setzt er sich für die Rechte von Schriftstellern ein. Die subtile Inszenierung von Gernot Grünewald schwankt zwischen Heimatdichtung und Kriegsbericht (Bühne und Kostüme: Michael Köpke; Video: Thomas Taube; Kamera: Jochen Gehrung, Daniel Keller; Musik: Dominik Dittrich).
Sebastian Röhrle, Jannik Mühlenweg, Benjamin Pauquet und Giovanni Funiati. Foto: Björn Klein.
Obwohl Thaddäus Troll ein Meister der Mundartdichtung war, sollte man ihn nicht in die Gemütlichkeitsecke stellen. Das macht der Abend in überraschender Weise deutlich. In zahlreichen Videosequenzen wird der schwäbischen Mentalität schonungslos nachgespürt. Die vier virtuosen Darsteller Giovanni Funiati, Jannik Mühlenweg, Benjamin Pauquet und Sebastian Röhrle machen sich nicht nur über die schwäbische Kehrwoche ihre Gedanken, sondern entlarven auch den verklemmten Pietismus bei „Der Schwabe und der Sex“. Dabei erfährt man dann, dass die Schwaben Sex oft als eine Erfindung des Satans bezeichnen. Auch körperliche Liebe ist für viele Teufelswerk. Die Spießigkeit der schwäbischen Seele stellt Gernot Grünewald als Regisseur grell zur Schau: „Der Pietismus hat das schwäbische Wesen sehr geprägt“. Man bekommt als Zuschauer aber auch mit, mit wie viel Einfühlsamkeit und Witz Thaddäus Troll beispielsweise die Entstehung eines Kindes beschrieben hat. Zwischen „Hefezopf“ und „Wein-Kantaten“ erklingen auch kurze Ausschnitte aus Beethovens fünfter Sinfonie. Das Ganze läuft revueartig ab. Während dem schwäbischen Hausbesitzer tief in die Seele geleuchtet wird, erklingt Richard Wagners „Walkürenritt“.
Insbesondere die dargestellten Kriegsszenen haben es in sich. Man begreift, warum Troll dieses Trauma nie loswurde. Man erfährt auch, dass ein paar Schwaben Hitler das Wort abgeschnitten hatten. Das Publikum wird außerdem über Stellung und Funktion der Propagandatruppen im Zweiten Weltkrieg genau informiert. Da eskaliert die Situation rasch anhand des unbeschreiblichen Grauens in den Schützengräben. Dazwischen sieht man dann immer wieder Aufnahmen von Stuttgart, die in diesem Zusammenhang seltsam bieder und geradezu „unschuldig“ wirken. Die vier Männer begeben sich zu Beginn in einzelne Kabinen auf der kreisrunden Bühne und ziehen sich ihre Kleider an. Sie erscheinen zunächst nur mit Unterhose, dann kleiden sie sich an. Zuletzt legen sie ihre Kleider wieder ab. Zuweilen erklingen auch Melodien der „Comedian Harmonists“ oder Sequenzen aus berühmten Unterhaltungssendungen des deutschen Fernsehens. Gleichzeitig wird das zwiespältige Verhältnis des Schwaben hinsichtlich aller Sinnlichkeit beleuchtet. Man erfährt letztendlich, dass „der Krieg ein furchtbares Feuer ist“. Das Weltbild des Schwaben wird hier aufs Tiefste erschüttert. Gott erscheint im „Deutschen Wirtschaftswunderfernsehen“. Mit Sendungen wie „Kulenkampffs Schuhe“ sollen Mord und Verbrechen vergessen werden. Kriegstraumatisierte Showmaster haben hier einem kriegstraumatisierten Publikum geholfen. Erschütternd wirken die letzten Briefe Trolls vor seinem Suizid, in denen er ganz langsam von der Welt Abschied nimmt. Hier erreicht diese Inszenierung eine ungeahnte Dichte und Stimmigkeit, was nicht bei allen Szenen der Fall ist.
Trotzdem ist der Abend sehenswert, weil man in die verletzte Seele Thaddäus Trolls blicken kann.
Alexander Walther