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STUTTGART/ Kammertheater: SCHÄFCHEN IM TROCKENEN von Anke Stelling

Das Milieu Scheidet

20.11.2019 | Theater


Therese Dörr, Sylvana Krappatsch, Katharina Hauter. Foto: Björn Klein

STUTTGART/ Kammertheater: „Schäfchen im Trockenen“ von Anke Stelling am 20.11.2019

Das Milieu Scheidet

Seine Schäfchen ins Trockene zu bringen, heißt nicht, mit dem Schäferhund befreundet zu sein. Sondern den Stall und das Land zu besitzen.“ Die Verschärfung der Unterschiede zwischen den Bevölkerungsschichten ist zentrales Thema des Stückes „Schäfchen im Trockenen“ in der recht temperamentvollen Inszenierung von Sabine auf der Heyde (Kostüme: Teresa Heiß; Musik: Jacob Suske). Die Mitte der Gesellschaft wird hier gnadenlos bloßgestellt – Mittvierziger, die aus Westdeutschland nach Berlin aufbrachen und nun luxuriöse Eigentumswohnungen besitzen.

Leider bleibt Resi in dieser Gesellschaft außen vor, denn sie ist eine nur mäßig erfolgreiche Schriftstellerin. Die vier suggestiven Darsteller Therese Dörr, Katharina Hauter, Sylvana Krappatsch und Sebastian Röhrle machen diese ungewöhnliche Situation plastisch deutlich. Man versteht, wie viel vom Wohnen abhängt. Chancengleichheit bleibt ein bloßer Wunschtraum, wenn es ums Eingemachte geht. Ein hungriges Herz bleibt immer zurück. Resi lebt mit ihren vier Kindern im neuen Kreativ-Prekariat. Die Wohnung entpuppt sich als Hort der Neurosen, weil Resi sie wegen Kündigung verlassen muss. Man erfährt beispielsweise auch, dass Marianne von ihrem Vater verprügelt wird. Jetzt muss Resi die Schönheit der Welt wohl anderswo suchen. Neoliberalismus und Marktglaube haben bis jetzt nicht die erhoffte Lösung gebracht. Der hässliche Fußboden muss immer wieder geschrubbt werden. „Es ist notwendig, Menschen zu verletzen“, heißt es an einer Stelle des Stücks, das aber doch noch eine ganz entscheidende Wende bringt. Denn Resi wird mit einem neuen Buch plötzlich erfolgreich und vom Publikum anerkannt: „Ich soll einen Preis bekommen!“


Sebastian Röhrle, Katharina Hauter, Sylvana Krappatsch, Therese Dörr. Foto: Björn Klein

Diesen aufregenden Verwandlungsprozess lassen die Darsteller allesamt in ansprechender Weise Revue passieren. Resi hat Angst, sich zu irren, sie fürchtet, dass ihr Zorn sich auf das Falsche richten könnte. Sie geht zuletzt sehr selbstbewusst aus diesem Dilemma hervor. Und sie findet Diogenes als antikes Vorbild – Resi erledigt nun vor aller Augen ihre wichtige Aufgabe. Das hungrige Herz klaut sie sich von Bruce Springsteen, dem Boss. Dessen Song handelt von einem Mann, der Frau und Kinder in Baltimore hat und zu einem Motorradausflug aufbricht, von dem er nie mehr zurückkehrt. Geklagt wird hier auch immer wieder über die „brotlosen Künstler“, die aufgrund mieser Bezahlung so sehr am Hungertuch nagen. Resi, die ihre Altbauwohnung verlassen muss, schreibt eine verzweifelte Wutrede an ihre Tochter Bea. Da wird die Tochter dann auf eine grausame Welt vorbereitet, in der es sehr wohl wichtig ist, aus welchem Milieu man stammt. Beim Thema „Erben“ spielt die soziale Herkunft in jedem Fall eine große Rolle. Dies ist auch die zentrale Aussage dieser Inszenierung. Und gegen Rüstungsproduzenten und Nazis wird heftig gewettert. Zu Lothringer Speckkuchen wird Resi nach der rüden Wohnungskündigung aber eine riesige Summe für ein neues Bauprojekt angeboten: „Ich will kein Opfer sein, ich bin stark!“ Da werden dann plötzlich ganz neue Weichen gestellt.

Bei Anke Stelling soll sich Margaret Thatchers Devise „There is no society“ nicht vollkommen durchsetzen. Manchmal vermisst man bei dieser durchaus konsequenten Inszenierung die hintersinnigen und nachdenklichen Momente. Und dennoch werden die einzelnen Figuren in der recht kargen Ausstattung plastisch deutlich. Fazit: Je tiefer die Kluft zwischen Arm und Reich ist, desto unzufriedener sind die Bürger mit der Demokratie. Und die Zahl der Wütenden und Frustrierten wird steigen, wenn das Aufstiegsversprechen unglaubwürdig geworden ist.

Alexander Walther        

 

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