„PIGS“ im Kammertheater Stuttgart: Eine interaktive Installation von Miriam Tscholl am 25.6.2022 im Kammertheater/STUTTGART
Der Metzgermeister liebt seinen Beruf
Hardy Punzel und Fabian Raabe. Copyright: Björn Klein
Als Kronen der Schöpfung sind Schweine in Metzgereien beliebte Schlachtopfer. Und es ist das Verdienst des Stückes, auf die schrecklichen Qualen der Tiere in der Lagerhaltung hinzuweisen. So kommt es aufgrund der beengten Verhältnisse in den Käfigen zu Kannibalismus und Verstümmelungen. Die gepeinigten Schweine werden aggressiv und beißen sich gegenseitig die Schwänze ab. Und man erfährt von den beiden temperamentvollen und im blutigen Kostüm auftretenden Darstellern Hardy Punzel und Fabian Raabe, dass die Pfoten der Tiere teilweise wie Pflanzen um die Gitterstäbe wachsen.
In ihrer Inszenierung bindet Miriam Tscholl den Zuschauer ganz bewusst in die Handlung mit ein, er darf in einem Halbrund Platz nehmen, das in einzelne Plätze mit Nummernschildern eingeteilt ist. Wie im Restaurant erhält man eine Menükarte und darf Fragen stellen wie beispielsweise „Was ist Ihre Doppelmoral?“ Da kann der Zuschauer dann antworten, inwieweit er seinen Fleischkonsum moralisch rechtfertigen kann. Bühne und Kostüme von Bernhard Siegl laden dazu ein, auf einzelne Knöpfe zu drücken, so dass auf den Bildschirmen immer neue Gesprächspartner auftauchen, die von ihren unterschiedlichen Erfahrungen mit Schweinen berichten. So sieht man den feisten Metzgermeister als gestandenes bayerisches Mannsbild, der seinen Beruf über alles liebt und diesen auch nie aufgeben würde. Und er ist empört über die Vorwürfe von Greenpeace, sieht diese als Bedrohung für seinen Beruf. Auf der anderen Seite gibt es da den engagierten Studenten, der sich nur noch vegan ernähren will. Schon Luther verkündete in seinen Tischreden „jemand eine Sau geben“ als derbe Beschimpfung. Doch die Franzosen meinen: „Dans le cochon tout est bon“ („vom Schwein ist alles gut“). Und die Deutschen verkünden: „Schweine, Bienen und Weiber machen viel Not dem Treiber“.
Fabian Raabe, Hardy Punzel. Copyright: Björn Klein
Das Stück arbeitet jedoch die verblüffende Nähe des Menschen zum Schwein drastisch heraus. So treten die Darsteller öfters mit Schweinsnasen auf und schlüpfen plötzlich in „tierische“ Rollen. Dabei wird verdeutlicht, dass die Schweine als Tiere geradezu die Doppelgänger des Menschen sind, was Ausdrücke wie „Saupreußen“, „Schweinepriester“, „Frontschweine“, „Pistensäue“ und „Schweinehunde“ belegen. Miriam Tscholl zeigt in bedrückender Weise auf, wie groß die Furcht des Menschen vor dem Schwein aufgrund dieser Ähnlichkeit ist. Auch so bekommt der Satz „Man verklagt keine Sau, die einen besudelt“ einen seltsamen Hintersinn. Die Engländer haben bezüglich des Schweines übrigens eine ganz eigene Betrachtungsweise. So sagte Winston Churchill: „Hunde schauen zu uns auf, Katzen auf uns herunter, Schweine aber betrachten uns als ihresgleichen“.
Hardy Punzel und Fabian Raabe stellen als wandlungsfähige Darsteller klar, dass Schweine gejagt und gleichzeitig als Jäger dargestellt werden. Sie werden gekocht, aber sie erscheinen auch als Köche. Und vor allem bringen sie Glück. Das Schwein wäre also der beste Freund des Menschen, wenn dieser nicht vor der Ähnlichkeit des Borstentiers mit sich selbst erschrecken würde. Diese interaktive Installation lotet neue Formen des Theaters aus. Sie ist eine Koproduktion der Münchner Kammerspiele und der Schauburg München, dem Nationaltheater Mannheim, dem Schauspiel Hannover und dem Theater an der Parkaue Berlin.
Alexander Walther