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STUTTGART/ Kammertheater/ Junge Oper Stuttgart: BENJAMIN von Gion Antoni Derungs. „Treffpunkt in Ägypten“. Premiere

24.06.2017 | Oper

Premiere „Benjamin“ mit der Jungen Oper im Kammertheater Stuttgart

TREFFPUNKT IN ÄGYPTEN

Premiere „Benjamin“ mit der Jungen Oper am 23. 6. 2017 im Kammertheater/STUTTGART

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Copyright: Christoph Kalscheuer

Das Werk „Benjamin“ des Schweizer Komponisten Gion Antoni Derungs mit dem von Benjamin Hartmann einfühlsam einstudierten Projektchor der Jungen Oper und unter der subtilen musikalischen Leitung von Jan Croonenbroeck erzählt die berühmte Geschichte von Josef, die sowohl im Alten Testament als auch im Koran von einer historischen Begegnung umherziehender Nomadenstämme mit der hochentwickelten Kultur Ägyptens berichtet. Benjamin wird als jüngster Sohn aus Jakobs Sippe zum Zeugen eines Familiendramas. Der Verlust seiner Mutter führt zu schrecklichen Brüderkämpfen, Isolation und anschließendem Aufstieg eines Familienmitglieds in der Fremde. Es kommt zu einer gewaltigen Auseinandersetzung mit Gott und der Gemeinschaft zwischen Neid, Lust, Überlebenskampf, Trauer und Ortlosigkeit. Auch die eher schlichte Inszenierung von Neco Celik lässt genügend Raum für die menschliche Stimme. Spirituelle Intimität und theatrale Energie breiten sich so in bemerkenswerter Weise aus. Auch der Bruderstreit nimmt auf der Bühne von Stephan von Wedel mit den hell-dunkel gehaltenen Kostümen von Valentin Köhler einen wahrhaft breiten Raum ein. Jakobsleitern und ein durchsichtiges Häusergestell lassen den Protagonisten viel Bewegungsfreiheit. Jakob und Pharao werden hier vom gleichen Sänger dargestellt. Und andere Figuren treten dann in doppelter Besetzung auf – zum Beispiel die Brüder in Ägypten als Hellseher. Und so ergeben sich Verbindungspunkte zwischen zwei verschiedenen Handlungsorten. Die Stimme entwickelt bei dieser ungewöhnlichen Oper eine abstrakte und sehr spirituelle Dynamik.

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Lena Sutor-Wernich, Ibrahima Biaye. Copyright: Christoph Kalscheuer

In der wahrhaft geheimnisvollen Sprache des Herzens verschmelzen Körper und Klang zu einer bemerkenswerten Geschichte. Das kommt bei dieser Stuttgarter Inszenierung in wirklich bewegender Weise zum Ausdruck. Die Intervallspannungen, Quarten und Quinten führen beim Chor zu ungewöhnlichen A-cappella-Einsätzen, die auch metaphysische und sphärenhafte Ausdrucksmomente in sich tragen. Ibrahima Biaye ist ein äusserst beweglicher Benjamin (Tanz), flankiert von Philipp Nicklaus als markantem und gesanglich machtvollem Josef, Thomas Herberich als fulminantem Jakob/Pharao, Lena Sutor-Wernich als sehr emotionaler Rahel und Ägypterin, Konstantin Krimmel als eindrucksvollem Ruben/Doktor, Marc-Eric Schmitt als facettenreichem Juda/Professor und Daniel Keating-Roberts als profundem Dan/Potifar. Verführerisch wirken auch Minyoung Catharina Häger als Potifera/Nebenfrau Jakobs und Myriam Mayer als Asenath/Nebenfrau Jakobs.

Der rhythmische und harmonische Fluss passt sich bei dieser eindrucksvollen Aufführung dem biblischen Geschehen sehr gut an. Rätoromanische Stilistik betont der Dirigent Jan Croonenbroeck hier ganz bewusst. Die gegensätzlichen Strömungen des 20. Jahrhunderts bis hin zu Arnold Schönbergs Oper „Moses und Aaron“ werden deutlich herausgearbeitet. Dodekaphonie, Aleatorik, Graphische Notation und Minimal Music haben dabei eine deutliche Spur hinterlassen. Die Musik des Schweizer Komponisten Gion Antoni Derungs verleugnet aber auch keineswegs klassisch-romantische Elemente. Ein metaphysischer und sphärenhafter Geist beherrscht deutlich das klangliche Geschehen (Dramaturgie: Johanna Danhauser). Dies zeigt sich vor allem bei der drastischen Beschreibung der sieben fetten und mageren Jahre in Ägypten. Der Tod der greisen Rahel bei der Geburt des Sohnes wird in einem markerschütternden Schrei gleich zu Beginn dieser Choroper in heftiger Weise dargestellt. Es ist das Fanal für die immer weiter ausufernde innere harmonische Bewegung dieses Werkes, das auch an klanglicher Intensität ständig zunimmt. Die dynamischen Prozesse werden von Jan Crooenbroeck mit dem Projektchor der Jungen Oper präzis akzentuiert.

Ins Rötliche mutierende Lichteffekte geben der Inszenierung von Neco Celik ein starkes visuelles Gewicht. Das Haus Jakobs wird als Gerüst von den Protagonisten hin- und herbewegt. Ganz am Schluss sieht man symbolisch die Jakobsleiter. Zuvor ist der greise Jakob seinen Söhnen nach Ägypten gefolgt. Nach einem liebevollen Wiedersehen mit dem lange vermissten Josef stirbt er friedlich. „Ewige Ruhe schenke ihnen, Herr, und das ewige Licht leuchte ihnen“ steht als Motto über der Aufführung. Elemente der Kirchenmusik treten bewusst hervor. Beim Tod von Benjamins und Josefs Mutter Rahel erklingt eine Vertonung des „Requiem aeternam“, der suggestive Beginn der traditionell lateinischen Totenmesse.

Für seine beeindruckende Gesamtleistung erhielt das Ensemble im Rahmen „20 Jahre Junge Oper“ tosenden Schlussapplaus. 

Alexander Walther

 

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