Foto: Björn Klein
Premiere von „Gotham City“ als Live-Hörspiel am 15. Februar 2020 im Kammertheater/STUTTGART
Genervt auf Verbracherjagd
„Aus dem Gefängnis seiner Existenz bricht keiner aus“, lautet das vielsagende Motto dieses Live-Hörspiels nach Rebekka Kricheldorfs Stück „Gotham City I – Eine Stadt sucht ihren Helden“. In der rasanten Inszenierung von Magdalena Schönfeld und der einfallsreichen Ausstattung von Jennifer Jünger überzeugen Anne-Marie Lux, Jannik Mühlenweg, David Müller, Celina Rongen und Felix Strobel in ihren giftgrünen Kostümen, die allesamt an den Krimi „Der Frosch mit der Maske“ von Edgar Wallace erinnern
In Gotham City ist das Verbrechen allgegenwärtig. Opium soll ans Volk verteilt werden. Man schwadroniert über „Hitlers Machtergreifung“ und fühlt sich wie Gott in Frankreich. Da Bürgermeisterin Susan Russell eine Generalamnestie für Kleindealer erlassen hat, ist Sheriff Gordon Bliffs meistgehasster Verbrecher, der Drogendealer Harry Myers, wieder frei. Er treibt in der Stadt weiter sein Unwesen, was zwischen „Nikotin und Liebeskummer“ im Foyer des Kammertheaters auch in abwechslungsreicher Manier zu sehen und zu erleben ist. Die Schauspieler agieren mit viel Temperament und attackieren „die Stadt“ als „alte Fixerbraut“. Alles stinkt hier nach „Krankheit und Tod“. Der Drogendealer stellt nur lakonisch fest: „Wenn ihrs nicht schafft, eure Bürger vor Langeweile, Elend und Depression zu schützen, kann ich nix dafür. Wer meinen Stoff will, soll ihn haben“. Die einen spritzen und schnupfen, die anderen versuchen sich verzweifelt aus dem Sumpf zu ziehen und so gut es geht zu überleben: „Sind Sie bekifft, Lucy?“
Das kommt bei der Inszenierung überzeugend zum Vorschein. Die Motivationskassetten des Psychiaters Harvey Mapplethorpe helfen dabei. Doch weder bei Sheriff Gordon Bliff noch bei der Bürgermeisterin Susan Russell und ihrem geplagten Ehemann Alfred scheint dies zu funktionieren. Sie fühlen sich als Versager und Bestien. Und man fragt sich, ob die Wissenschaftlerin Sybill Clark wohl recht hat, wenn sie meint, dass der Menschheit nur noch ein Reset Serum helfen könne. Im Live-Hörspiel werden bei der „Orgie“ sogar Beischlaf-Geräusche laut. Es gibt hier viel Situationskomik: „Wir wissen alle, warum du nicht geheiratet hast!“ Ein abgehalfteter Lehrer klagt dem Publikum als „Kinderficker“ sein Leid, der vom Schuldienst suspendiert wurde, weil er sich angeblich an einem Schulmädchen verging. „Ich korrigiere gefakte Hausaufgaben„, meint er lakonisch. Zuvor hat man von Harry erfahren, der zusehen musste, als seine Mutter mit 23 Messerstichen von seinem Vater ermordet wurde, weil sie einen Liebhaber hatte. Vor den Mikrofonen wird Gemüse zerschlagen. Es kommt schließlich auch zu einer Verhaftung des Kleindealers. „Sie sind ein Held, Alfred!“ stellt man lakonisch fest. Alfred liegt jedoch eine ganze Weile im Koma. Die Gerechtigkeit nimmt ihren geplanten Lauf: „Halt’s Maul, Schwanzgesicht!“ Zuletzt gibt es bei der Bürgermeisterin Susan Russell kein Halten mehr, als sie erfährt, dass sie ihre Wiederwahl gewonnen hat.
Das Live-Hörspiel ist zwar mit sprunghaften Gedanken und explodierenden Sätzen zuweilen etwas überfrachtet. Doch das Publikum bei der Premiere war hellauf begeistert. Szenisch ist das Ganze abwechslungsreich und gut gemacht.
Alexander Walther