Gastspiel von „The Wooster Group“ im Kammertheater am 7. Juli 2022/STUTTGART
Auch religiöse Bezüge
Copyright: Steve Günther
The Wooster Group aus New York besteht aus den Sängern Eric Berryman, Jasper McGruder und Philip Moore. Seit 1975 vereint die Wooster Group Künstler aus unterschiedlichen Disziplinen und gilt als Vorreiter eines experimentellen Theaters. In ihrem vielfach ausgezeichneten Programm „The B-Side“ setzt sich das Ensemble mit dem 1965 erschienenen Album „Negro Folklore from Texas State Prisons“ auseinander. Dieses Album enthält unter anderem Auftritte von William Evans, John Gibson, James Hampton und anderen. Es ist eine interessante Sammlung von Gefängnis-Arbeitsliedern und Spirituals. Sie wurden von Bruce Jackson aufgenommen und zusammengetragen. Es handelt sich um unglückliche Liebesgeschichten, Gewalt und sich endlos wiederholende körperlichen Aufgaben. Die drei Interpreten geben hier den Inhaftierten eine Bühne. Es geht auch um die Anfänge der Sklaverei und rassistische Unterdrückung. Davon handeln die Lieder „Don’t Look So Downhearted, Buddy“, „Move Along ‚Gator“ (eine sarkastische Nummer über ein Krokodil), „Three Moore Brothers“ oder „Assassination Of The President“ als eindringlicher Gospel-Song. Der Akt des Zuhörens wird hier zu einem spannenden Prozess, der alle Sinne anspricht. Ein Schreibtisch, ein Mikrofon und ein Audioboard sind die Utensilien, die die Protagonisten hier benötigen. Das Spiritual „Don’t Be Uneasy“ mündet in den Worksong „Rattler“, der irgendwie an die Abenteuergeschichten von Karl May erinnert: „Ich will den Nigger, der entkommen ist.“ Unter der Leitung der Regisseurin Elizabeth LeCompte lassen die Protagonisten die Tragödie der schwarzen Bevölkerung in den Vereinigten Staaten Revue passieren. Es gibt auch deutlich religiöse Bezüge: „Jesus wird dein Sterbebett machen…“ Weitere Songs wie „Hammer Ring“, „T. B. Bees“ als Toast, der intensive Blues „If You See My Mother“, der Worksong „Just Like A Tree Planted By The Water“, das Spiritual „See How They Done My Lord“, die Preaching parody „Daniel In The Lion’s Den“ und „Forty-Four Hammers“ runden dieses eindringliche Bild ab. Die Akteure benutzen einen Plattenspieler – und man sieht im Hintergrund einen Raum, der ein Gefängnis andeutet. The Wooster Group besteht aus einem festen Ensemble von Darstellern und wird unterstützt durch eine große Anzahl von Mitarbeitern, die projektbezogen arbeiten. Die „Performing Garage“ in der Wooster Street 33 in Soho/Manhattan ist der langjährige Sitz des Ensembles. Es wird immer wieder zu internationalen Gastspielen eingeladen. Und auch in Stuttgart wirkt die Mischung von Musikdarbietung und Theaterszenen überzeugend. Schöpferische Spannung und elektrisierende Vibration wechseln sich ab. Und man begreift immer wieder, dass die Gospel-Musik die eigentliche Untergrund-Kunst der Schwarzen Amerikas ist. Eine blühende Kunst voller Kraft und Vitalität.
ALEXANDER WALTHER