„Liebe – eine argumentative Übung“ im Foyer des Kammertheaters am 12.6.2024/STUTTGART
Neues vom Seemann Popeye
Mina Pecik, Felix Jordan. Foto: Björn Klein
„Olivia liebte den Schwanz ihres Freundes“ – so heißt es im Stück „Liebe – eine argumentative Übung“ von Sivan Ben Yishai. Es geht darin um den spinatliebenden Seemann Popeye und seine Freundin Olivia Öl, die in ihren muskulösen, künstlerisch interessierten Mann vernarrt ist, der auch noch Star seiner eigenen Serie ist. Sie leidet darunter, sich ständig an Popeyes Ex-Freundin messen zu müssen. Popeye fühlt sich auch als verkannter Künstler, dessen Drehbuch nie länger als zwei Seiten wurde. Verletzlichkeit und gekränkter Stolz führen hier zu rasanten Dialogen voller Absurdität, frappierender Übertreibungen und groteskem Spielwitz: „Männer sind Tiere!“ Der feministische Selbstanspruch von Olivia Öl ist allerdings gewaltig. Schließlich sieht man überall den Schwanz in riesigen Attrappen, einmal läuft sogar ein Filmausschnitt über Popeye. Es geht natürlich immer wieder um das Thema Liebe, das die beiden furiosen Darsteller Felix Jordan und Mina Pecik zusammen mit der grandiosen Stimme von Sylvana Krappatsch mit äusserster Virtuosität abarbeiten. Überall scheint die Vagina geleckt zu werden: „Die Vulva wird gewinnen!“ Das seltsame Liebespaar übt sich hier in zahlreichen absurden Verrenkungen, individuellen Erfahrungen, Emotionen und Wahrnehmungen, die sich immer wieder verändern. Handelt es sich hier nicht auch um ein lustiges Stück über Sex? Man gewinnt zumindest den Eindruck, denn die feministischen Ansichten von Olivia Öl werden ad absurdum geführt. Das Patriarchat scheint trotzdem aufrecht erhalten zu werden. Manches wirkt auch einfach aufgesetzt, wenn etwa über den ersten Orgasmus einer Zwölfjährigen philosophiert wird.
Felix Jordan, Mina Pecik. Foto: Björn Klein
In der rasanten Regie von Tom-Henry Löwenstrom (Bühne: Klara Kollmar; Kostüme: Katharina Weis) wähnt man sich oftmals an einem Filmset, einzelne Szenen scheinen herausgeschnitten zu werden. Die Kamera ist jedenfalls überall dabei und sorgt bei den Zuschauern für heftige Verwirrung. Die Handlung mündet schließlich in einen Sexrausch, der das Publikum regelrecht überfällt und manchmal auch überfordert. Die Frauen und ihre Sexualität werden dabei aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Und das seltsame Paar entdeckt als Opium des Patriarchats die Liebe. Trotz allem wird postuliert, dass die Männer die Frauen als Gleichgestellte lieben sollen. Gleichzeitig sollen die Vorstellungen von der Liebe neu erfasst werden, was in der manchmal aus dem Rahmen fallenden Inszenierung nicht immer gelingt. Fazit: Männer müssen erst lernen, Frauen zu lieben. Aber Frauen müssen auch lernen, sich selbst zu lieben, sie müssen ihre Unterlegenheit verlernen.
Trotzdem gab es für die Darsteller zuletzt viel Applaus und zahlreiche „Bravo“-Rufe.
Alexander Walther